Nachdem wir im ersten Teil unserer Serie über Erben und Erbschaftsteuer betrachtet haben, wie das Erben im Lichte des Leistungsprinzips bewertet werden kann, und uns im zweiten Teil mit den Auswirkungen von Erbschaften und Schenkungen auf die Vermögensungleichheit beschäftigt haben, steht im dritten Teil das Für und Wider der Erbschaftsteuer im Mittelpunkt.
Über das Für und Wider der Erbschaftsteuer
Die Diskussion über das Für und Wider der Erbschaftsteuer wird in Wikipedia so zusammengefasst: „Die Befürworter sehen in ihrer Erhebung eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, wodurch staatliche Einnahmen zur Umverteilung und sozialpolitischen Korrektur der ungleichen Vermögensverteilung geschaffen werden. Die Gegner einer Erhebung der Erbschaftsteuer sehen in ihr einen illegitimen Eingriff in das Familienvermögen und die Familie. Hinzu komme eine systematische Beeinträchtigung deren wirtschaftlicher Grundlagen in einem Bereich, der ansonsten besonderem staatlichen Schutz unterstellt sei.” (Quellenhinweise dazu in Wikipedia: Jens Beckert: Unverdientes Vermögen. Soziologie des Erbrechts, Frankfurt/Main: Campus-Verlag 2004, S. 253–246; Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, HDWW, Bd. 2, 1980, G. Fischer – J.C.B. Mohr – Vandenhoeck & Ruprecht, unter: Erbschafts- und Schenkungsteuer, S. 441)
Soweit die großen Linien der Diskussion. Detailliertere Einsichten zu den Argumenten der Gegner und der Befürworter der Erbschaftsteuer bietet der Beitrag „Unverdientes Vermögen oder illegitimer Eingriff in das Eigentumsrecht? Der öffentliche Diskurs um die Erbschaftssteuer in Deutschland und Österreich” von Jens Beckert und H. Lukas R. Arndt, beide vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln (vgl. dazu auch Teil 1 unserer Serie). Beckert und Arndt haben 2016 untersucht, wie Gegner und Befürworter der Erbschaftsteuer ihre jeweilige Position begründen, und so die Strukturen des Diskurses zur Erbschaftssteuer ergründet. Datengrundlage waren die Online-Diskussionen, die zwei ausführliche Interviews im Dezember 2014 mit Jens Beckert in Der Standard und im März 2015 mit Julia Friedrichs auf Spiegel Online zu dem Thema ausgelöst haben.
Insgesamt seien von den Gegnern der Erbschaftsteuer 1.998 auswertbare Argumente vorgebracht worden. Die am häufigsten auftretenden Argumente bezögen sich „im weitesten Sinne auf Rahmenbedingungen, die gegen Erbschaftssteuern sprechen (19 Prozent), auf das Recht auf Eigentum (16 Prozent) und auf das Leistungsprinzip (13 Prozent). Darüber hinaus sind Argumente wichtig, die eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem Staat, Politikern oder der Verwaltung zum Ausdruck bringen (9 Prozent), sowie Gründe, die sich auf die Sozialstruktur und soziale Ungleichheit beziehen (9 Prozent), und solche, die in der Erbschaftssteuer eine Mehrfachbesteuerung sehen (7 Prozent). Die übrigen Argumentarten machen jeweils weniger als 5 Prozent sämtlicher ausgewerteten Argumente der Gegner aus (vgl. Abbildung 2).” (S. 9)
„Bei den inhaltlichen Begründungen verweisen die Gegner der Erbschaftssteuer insbesondere auf das Recht der Vererbung von Eigentum als liberalem Grundrecht und sie verweisen auf die Leistungen des Erblassers, die durch die Besteuerung des Erbes bestraft würden”, heisst es bei Beckert und Arndt. Außerdem führten die Gegner eine allgemeine Unzufriedenheit mit den staatlichen Institutionen und das technische Argument einer Doppelbesteuerung an, da der Erblasser das Vermögen ja bereits versteuert habe. (S. 24)
Die Befürworter der Erbschaftsteuer hätten insgesamt 1.300 Argumente zu den Diskussionen beigetragen. Genau wie bei den Gegnern seien die Bezüge auf Rahmenbedingungen die am häufigsten vorzufindende Argumentation (21 Prozent). „Mit 15 Prozent bezieht sich ein größerer Anteil der Argumente jedoch auf den Themenkomplex der sozialen Ungleichheit und Sozialstruktur. Das Leistungsprinzip ist auch in dieser Gruppe eines der wichtigsten Themen (15 Prozent), wird jedoch anders interpretiert. Weiterhin wichtig sind Einschätzungen zur Mehrfachbesteuerung (10 Prozent), die Forderung, zwischen den Einkommensarten umzuverteilen (7 Prozent), sowie Argumente, die sich auf das Eigentumsprinzip beziehen (5 Prozent; vgl. Abbildung 3).” (S. 14)
Die Befürworter der Steuer verwendeten ein völlig anderes argumentatives Repertoire; bei ihnen stehe die Problematik sozialer Ungleichheit bei den Begründungen für die Steuer weit vorne, so Beckert/Arndt. „Durch die Erbschaftssteuer könne soziale Ungleichheit korrigiert werden. Auch die Befürworter der Steuer beziehen sich auf das Leistungsprinzip, interpretieren dies jedoch ganz anders als die Befürworter. Nicht die Leistungen des Erblassers, sondern die Leistungslosigkeit der Erben wird in den Vordergrund gerückt. Darüber hinaus wird das Argument der Mehrfachbesteuerung zurückgewiesen und beim Eigentumsprinzip wird die Sozialverpflichtung des Eigentums hervorgehoben.” (S. 24f.)
Erben und Erbschaftsteuer — zwei Sichtweisen
Bei der Diskussion über das Für und Wider der Erbschaftsteuer ist es wichtig, zwei grundverschiedene Sichtweisen auseinanderzuhalten: zum einen die Sicht des Erblassers oder Schenkenden, zum anderen die Sicht der Erben oder Begünstigten. Natürlich könne sich der Erblasser oder Schenkende fragen, warum sein aus hochversteuertem Einkommen gebildetes Vermögen nochmals belastet werde. Für die Begünstigten bleibe es jedoch ein Zufluss, für den sie in der Regel nichts leisten mussten, meint Manfred Schäfers in der F.A.Z. (Paywall).
Für beide Sichtweisen ist das Thema „Leistung” von großer Bedeutung — nur mit gänzlich umgekehrten Vorzeichen, wie wir gesehen haben: Der Erblasser sieht seine Leistung durch die Besteuerung des Erbes „bestraft” und beklagt eine Doppelbesteuerung; mit Blick auf die Begünstigten geht es nicht um die Leistungen des Erblassers, sondern darum, dass sie für ihr Erbe (in der Regel) keine Leistungen erbracht haben, das erhaltene Vermögen also „leistungslos” oder „unverdient” im Sinne von „nicht selbst verdient” ist.
Beide Sichtweisen sind schwerlich übereinzubringen. Entsprechend lässt sich mit der einen Sichtweise eine Erbschaftsteuer von 0 Prozent, mit der anderen eine von 100 Prozent begründen: „Mit dem Argument, die Erbschaft sei (Familien-)Vermögen, das aus bereits versteuertem Einkommen stammt, kann man einen Steuersatz von 0 % fordern. Aber genauso gut kann man einen Steuersatz von 100 % begründen, wenn man sich auf die Chancengleichheit zwischen Erben und Nichterben bzw. zwischen Erben hoher und geringer Vermögen beruft”, heißt es in der Studie „Erben in Deutschland 2015–24: Volumen, Verteilung und Verwendung” des Deutschen Instituts für Altersvorsorge.
Weder 0 Prozent noch 100 Prozent sind gangbare Wege. „Ein Land, das Arbeit stark besteuert, kann größere Erbschaften und Schenkungen schwerlich komplett freistellen”, hält Schäfers in der F.A.Z. fest. Und Beckert trifft durchaus einen Punkt mit seinem Hinweis, viele glaubten, sie hätten einen möglichst ungeschmälerten Anspruch auf die Früchte der Leistungen ihrer Vorfahren — gleichzeitig sei es aber ganz selbstverständlich, keinen Anspruch auf den vollen Arbeitslohn zu haben, für den man gearbeitet habe.
Martin Beznoska und Tobias Hentze bringen die Sache in einem Policy Paper des Instituts der deutschen Wirtschaft auf den Punkt, wenn sie schreiben: „Eine Erbschaftsteuer bedeutet, Vermögenswerte zu besteuern, die durch bereits versteuertes Einkommen entstanden sind. Dies führt per Definition zu einer Doppelbesteuerung, bedeutet aber nicht zwangsläufig, die Idee der Erbschaftsteuer abzulehnen, da diese als Einkommensteuer des Erben im Sinne einer Erhöhung des Nettovermögens interpretiert werden kann.” Selbstverständlich handelt es sich also bei der Erbschaftsteuer — aus Sicht des Erblassers — um eine Doppelbesteuerung (wobei der Vollständigkeit halber anzumerken ist, dass die „zweite” Besteuerung nicht beim Erblasser, sondern bei den Erben erfolgt). Die Erbschaftsteuer kann aber durchaus als Einkommensteuer der Erben betrachtet werden.
Ob man bei dem Versuch, die Besteuerung von Arbeit und Erbschaften in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen, dem Vorschlag von Jens Beckert folgt, Erbschaften in Höhe von Einkommen — also bis maximal 45 Prozent — zu besteuern, ist eine Frage der persönlichen Sichtweise und von politischen Präferenzen. Folgt man Beckert, müssten Erben knapp die Hälfte an den Staat abführen. „Über die Freibeträge würde man die kleinen Vermögen schützen und dadurch zu einer egalitäreren Verteilung von Vermögen kommen”, so Beckert im Interview mit Der Standard, Dezember 2014 „Erbe und Arbeit gleich besteuern”. „Der Hintergrund für diesen Vorschlag ist, dass mir unverständlich ist, wie sich in einer Gesellschaft, die sich als Leistungsgesellschaft versteht, Arbeit — die ja ganz offensichtlich Leistungserbringung bedeutet — so viel höher besteuert werden kann, als Erbschaften, die leistungsfrei erlangt werden. Mir erscheint es normativ plausibel zu sagen, dass Arbeit und Erbe zumindest gleich hoch besteuert werden sollen.”
Nun ist nicht alles, was normativ plausibel ist, auch wirtschaftlich sinnvoll. So wäre etwa eine Besteuerung von unternehmerisch gebundenem Vermögen im Erbfall bis maximal 45 Prozent keinesfalls sinnvoll, sondern im Gegenteil höchst kontraproduktiv. Da würde wohl auch Beckert zustimmen. Für Vermögen, das bei vielen Familienunternehmen ganz überwiegend in den Bilanzen gebunden ist, muss es also (weiterhin) angemessene Freibeträge oder Verschonungsregeln geben.
Erben und Erbschaftsteuer — liquides versus betrieblich gebundenes Vermögen
Bei Familienunternehmen entstehen die Herausforderungen bei der Übertragung von Vermögen schon allein durch die Frage, ob eine Übertragung überhaupt machbar ist. So sieht es etwa Patrick Adenauer, Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensgruppe Bauwens. Wenn es sich um kein rein liquides Vermögen handele, sei der zentrale Punkt, ob die Erben die Erbschaftsteuer zahlen könnten.
Auch Hubertine Underberg-Ruder, Verwaltungsratspräsidentin der Underberg AG und Mitglied des Aufsichtsrats der Semper idem Underberg AG, differenziert zwischen einem liquiden und einem betrieblichen gebundenen Vermögen. Bestehe das Vermögen in kapitalgesellschaftlich leicht übertragbaren Aktienpaketen, sei steuerlich ein Zugriff leicht möglich und auch gesellschaftlich nicht negativ. Sei dagegen bei einem größeren mittelständischen Unternehmen der Unternehmensübergang mit hohen Erbschaftsteuern belastet, „ist das für alle Beteiligten letztendlich eher kontraproduktiv“. Daher glaube sie, die Verschonungsregeln, die der deutsche Staat vorgesehen habe, seien grundsätzlich ein richtiger Ansatz.
Alles in allem sind die unterschiedlichen Interessen des Staates einerseits und der Bürger andererseits hinsichtlich der Vermögensvererbung und ihrer Besteuerung nicht leicht unter einen Hut zu bringen.
Abgesehen davon, dass der Staat grundsätzlich lieber mehr als weniger Steuern einnimmt, wird er die (Chancen-)Gleichheit ins Feld führen, wird er je nach aktueller politischer Ausrichtung mal mehr, mal weniger Umverteilung fordern. Auch darf er, wie etwa in Bayern, den Lenkungszweck der Erbschaftsteuer nicht aus dem Augen verlieren, worauf der Heidelberger Verfassungs- und Steuerrechtsprofessor Ekkehart Reimer in der F.A.Z. hingewiesen hat (Paywall). In Art. 123 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Bayern heißt es nämlich: „Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.” Darüber hinaus wird der Staat aber auch ein Interesse daran haben, die Reduzierung des Kapitalstocks zu verhindern, die eintreten kann, wenn durch überzogene Erbschaftsteuern der Anreiz, Vermögen an die nächste Generation zu übertragen, erodiert, und der Verzehr des Vermögens bis zum Lebensende als die vorteilhaftere Option erscheint.
Auf Seiten der Bürger, der Erben in unserem Fall, bleibt der dynastische Gedanke ein zentraler Aspekt. Hier geht es um den Schutz der Familie und des Familienvermögens, um innerfamiliäre Solidarität zwischen den Generationen, um die Versorgung Hinterbliebener und das Recht des Erblassers auf freie Verfügung über sein Eigentum.
Am Ende kommt es darauf an, einen fairen Ausgleich der Interessen zu gestalten. Wie dieser Ausgleich aussehen soll, darüber gehen die Meinungen recht weit auseinander. Mit möglichen Reformansätzen durch eine „Flat Tax” beschäftigt sich der abschließende vierte Teil der Serie.