Dass die Vermögensungleichheit in Deutschland besonders hoch sei und zudem noch ständig weiter wachse, ist eines der häufig gehörten Narrative, wenn es um die sozialen Verhältnisse in Deutschland geht. Richtig ist, dass die Vermögensungleichheit deutlich höher ist als die Einkommensungleichheit; allerdings ist sie auch nicht so hoch, wie – unter regelmäßiger Auslassung der Vermögensäquivalente aus den Altersvorsorgevermögen – in der Regel behauptet wird (siehe bspw. hier).
Nun zeigt eine aktuelle Untersuchung der Deutschen Bundesbank, dass die Vermögensungleichheit in den letzten Jahren nicht gestiegen, sondern leicht gesunken ist.
Entwicklung der Vermögensungleichheit
Laut der Studie „Eine verteilungsbasierte Vermögensbilanz der privaten Haushalte in Deutschland – Ergebnisse und Anwendungen” (Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juli 2022, S. 15ff.) hat dies zwei Gründe:
- Zum einen sei der der Nettovermögenszuwachs für die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung besonders kräftig ausgefallen. Hierbei hätten die weniger vermögenden Haushalte in deutlichem Umfang risikoarme Anlagen wie Einlagen und Versicherungsansprüche aufgebaut und gleichzeitig merklich ihre Verschuldung reduziert.
- Zum anderen sei die Ungleichheit auch deshalb gesunken, weil die obere Mitte der Verteilung spürbar von einem steigenden Wert des Immobilienvermögens profitiert habe (vgl. S. 15, 16, 22f., 34f.). Der Nettovermögensanstieg des obersten Prozents der Verteilung sei schließlich zentral auf Zuwächse beim Betriebsvermögen zurückzuführen (vgl. S. 23).
Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz vereint laut Bundesbank zwei Datenperspektiven: Sie verknüpfe die Haushaltsbefragung der Bundesbank „Private Haushalte und ihre Finanzen“ (PHF) mit den gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanzen. Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz berücksichtige somit die Verteilungsinformationen aus der Haushaltsstudie und spiegele gleichzeitig die vierteljährliche Dynamik und die Niveauangaben der gesamtwirtschaftlichen Statistiken in konsistenter Weise wider (vgl. S. 15).
Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz des Haushaltssektors verdeutliche eine insgesamt hohe Vermögensungleichheit, die über die Laufzeit des Datensatzes, das heißt ab 2009, jedoch leicht rückläufig gewesen sei. Während die obersten 10 Prozent der Vermögensverteilung über den betrachteten Zeitraum mehr als 50 Prozent des gesamten Nettovermögens der Haushalte in Deutschland hielten, entfalle auf die untere Hälfte der Vermögensverteilung mit durchschnittlich 0,6 Prozent ein äußerst geringer Anteil. Allerdings habe sich im Beobachtungszeitraum die Verteilung leicht zugunsten der unteren Hälfte verschoben. Der Anteil der vermögensärmeren 50 Prozent der Haushalte am gesamten Nettovermögen stieg von 0,2 Prozent im Jahr 2009 auf mehr als 1,2 Prozent im Jahr 2021 (vgl. S. 22).
Portfoliostruktur entlang der Vermögensverteilung
Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz offenbare darüber hinaus eine erhebliche Heterogenität in der Vermögenszusammensetzung der privaten Haushalte. So bestünden die Vermögen der unteren Hälfte der Verteilung nahezu ausschließlich aus risikoarmen Anlageformen wie Einlagen und
Versicherungsansprüchen. Dahingegen umfasse die Vermögensstruktur der vermögenderen Haushalte in einem deutlich größeren Umfang Kapitalmarktinstrumente und vor allem Immobilien- und Betriebsvermögen (vgl. S. 15, 16)
Die abweichenden Nettovermögensentwicklungen gingen unter anderem auf ungleich verteilte Vermögensformen zurück, die sich in erkennbaren Unterschieden in der Vermögensstruktur entlang der Vermögensverteilung niederschlügen. Ein Blick auf die durchschnittliche Struktur des Gesamtvermögens (brutto) der vier Vermögensgruppierungen (0-50 Prozent, 50-90 Prozent, 90-99 Prozent, Top 1 Prozent) für den Zeitraum 2009 bis 2021 zeige: In der unteren Hälfte der Vermögensverteilung dominiere vor allem das Finanzportfolio die Vermögensstruktur. Hier sei zudem die Immobilienbesitzquote vergleichsweise gering. Dahingegen setze sich das Gesamtvermögen der folgenden 49 Prozent zu mehr als der Hälfte aus Immobilien zusammen. Beim oberen Prozent spiele zudem das Betriebsvermögen eine bedeutende Rolle (vgl. S. 23, 29f.)
Portfoliorendite entlang der Vermögensverteilung
Natürlich schlägt sich die Heterogenität in der Vermögenszusammensetzung der privaten Haushalte in merklichen Unterschieden in der Höhe der Rendite des Gesamtvermögens entlang der Vermögensverteilung nieder.
Da nahezu ausschließlich risikoarme Anlagen in Form von Einlagen und Versicherungsansprüchen die Gesamtrendite der unteren Hälfte der Vermögensverteilung bestimme, deren Verzinsung in den letzten Jahren vergleichsweise gering ausgefallen sei, liege ihre durchschnittliche reale Rendite im Mittel bei 0 Prozent (vgl. S. 28, 29). Die reale Rendite berücksichtigt neben inflationsbedingten Kaufkraftverlusten auch andere Ertragskomponenten wie Bewertungseffekte (Kursänderungen) und Dividenden (vgl. Deutsche Bundesbank: Das Spar- und Anlageverhalten privater Haushalte in Deutschland vor dem Hintergrund des Niedrigzinsumfelds, Monatsbericht Oktober 2015)
Gegenüber der realen Rendite des Finanzportfolios falle vor allem für die Haushalte in der oberen Hälfte der Vermögensverteilung die reale Vermögensrendite spürbar höher aus. Hauptgrund für die Unterschiede sei das im Vergleich zur oberen Hälfte der Vermögensverteilung geringe Immobilien- und Sachvermögen der unteren Hälfte. Die reale Vermögensrendite der Haushalte im Sektor 50 bis 99 Prozent der Verteilung habe in etwa zu 90 Prozent auf den Beiträgen des Immobilienvermögens basiert.
Da das Immobilienvermögen im Beobachtungszeitraum neben Aktien im Durchschnitt die höchste reale Rendite aller Vermögenskomponenten aufgewiesen habe, hätten die Haushalte in der oberen Verteilungshälfte eine deutlich höhere Gesamtrendite erzielt. Die reale Rendite von Immobilien sei durchgängig positiv gewesen und von gut drei Prozent im Jahr 2009 auf etwa elf Prozent zu Beginn des Jahres 2022 gestiegen. Die realen Renditen des finanziellen sowie des nichtfinanziellen Betriebsvermögens seien im Vergleich hierzu volatiler und im Mittel auch niedriger ausgefallen (vgl. S. 31, 32, 37) .
Die Rendite der oberen zehn Prozent der Vermögensverteilung sei im Betrachtungszeitraum maßgeblich durch die Rendite von Kapitalmarktinstrumenten geprägt worden. Insbesondere positive Kursentwicklungen hätten hier zu hohen Renditen beigetragen, die sich in einer entsprechenden Gesamtrendite niederschlügen (vgl. S. 29).
Auch für das obere Prozent der Vermögensverteilung leistete das Immobilienvermögen einen spürbaren Beitrag zur Gesamtrendite. Diese wurde jedoch zusätzlich durch einen merklichen Beitrag des Betriebsvermögens gesteigert (vgl. S. 32). Die durchschnittliche reale Rendite habe für das oberste Prozent etwa 1,5 Prozent betragen (vgl. S. 28).
Vermögensverteilung und Portfoliostruktur im internationalen Vergleich
Die Betrachtung der Nettovermögensverteilung und Portfoliostruktur der privaten Haushalte in Deutschland im internationalen Vergleich zeigt laut Bundesbank, dass sich das Nettovermögen in Deutschland ungleicher als im Euroraum verteile, aber weniger konzentriert sei als in den USA. Demnach sei der Anteil der vermögendsten zehn Prozent der Haushalte im Euroraum zum Jahresende 2021 im Vergleich zu Deutschland etwas geringer gewesen, in den USA aber erkennbar höher.
Der Anteil der nächsten 40 Prozent sei in Deutschland in etwa so hoch wie im Euroraum, aber deutlich größer als in den USA. Ähnlich gering wie in den USA sei in Deutschland der Anteil der vermögensärmeren 50 Prozent der Haushalte am gesamten Nettovermögen. Im Euroraum liege dieser hingegen erkennbar höher. Die Nettovermögensverteilung habe sich in Deutschland gegenüber dem ersten Vierteljahr 2011 nur leicht geändert (vgl. S. 24)
Die Verteilung verschiedener Vermögenskomponenten zwischen den Vermögensgruppen unterscheide sich nur unwesentlich. So gehöre fast das gesamte Immobilienvermögen in etwa je zur Hälfte den oberen zehn Prozent und den nächsten 40 Prozent der Verteilung. Anteilsrechte und Betriebsvermögen befänden sich fast ausschließlich im Besitz der oberen zehn Prozent der Verteilung. (vgl. S. 24f.)
Mit den Ergebnissen der Bundesbank-Studie beschäftigt sich unter anderem Daniel Stelter in der 149. Folge seines Podcasts „bto 2.0”.
Die F.A.Z. (Paywall) hat das Thema ebenso aufgegriffen wie die Welt (Paywall).