Geldwachstum

Vermögensbildung für jedermann

Vermögensbildung für jedermann — dass das tatsächlich funktioniert ist am Ende nicht neu. Regelmäßig wiederkehrend stellt sich gleichwohl die Frage, warum Deutschland im internationalen Vergleich bei der Vermögensbildung verhältnismäßig schlecht abschneidet. Deutschland gilt zwar als „reiches” Land, aber die Deutschen sind im Durchschnitt alles andere als „reich”. In diesem Beitrag möchten wir anhand von rund einem Dutzend Abbildungen und Tabellen zeigen, warum die Lage so ist wie sie ist, und was sich verbessern ließe.

Zunächst werfen wir einen Blick auf das Sparverhalten und die Frage: Was machen die Deutschen mit ihrem Geld und was kommt dabei heraus? Vermögensbildung hat natürlich etwas mit Sparfähigkeit zu tun, also der Frage, wie viel kann in den Dezilen oder Quintilen der Einkommensverteilung potentiell zurückgelegt werden. Wer die relativ schwache Vermögensposition der Deutschen verstehen will, muss des Weiteren einen Blick auf die Wohneigentumsquote werfen, die wesentlichen Einfluss auf die Höhe des Vermögens hat. Schließlich: Wenn für künftige Generationen die Dinge besser laufen sollen, dann muss deutlich mehr Wert auf finanzielle Bildung („financial literacy”) gelegt werden.

Vermögensbildung für jedermann: Über das Sparverhalten der Deutschen

Beginnen wir unsere Tour d’horizon mit einer Betrachtung des Status quo. Nach den neuesten Zahlen des am 26. September veröffentlichten Allianz Global Wealth Report 2023 liegt Deutschland in der globalen Rangliste nach dem durchschnittlichen Geldvermögen pro Kopf mit 89.360 Euro nur auf Rang 19.

Vermögensbildung für jedermann: Globale Rangliste nach dem durchschnittlichen (Brutto-)Geldvermögen pro Kopf, 2022 in Euro

Erbschaften und Schenkungen beiseite lassend gibt es für die Bildung und den Zuwachs von Vermögen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: zum einen neue Ersparnisse, zum anderen Wertsteigerungen des Portfolios. Was den Anteil des Wertzuwachses am Gesamtwachstum des Finanzvermögens angeht schneidet Deutschland im internationalen Vergleich denkbar schlecht ab. Die folgende Abbildung von Fritz/Holzhausen (Allianz 2019) zeigt dies für den Zeitraum von 2003 bis 2017.

Vermögensbildung für jedermann: Wertzuwächse vs. neue Ersparnisse seit 2003, Anteil am Zuwachs des Finanzvermögens in %

Während beispielsweise in Irland der Wertzuwachs beachtliche 93 Prozent Anteil am Wachstum des Finanzvermögens hat und nur 7 Prozent auf neue Ersparnisse entfallen, verhält es sich in Deutschland genau umgekehrt: Hier entfallen auf den Wertzuwachs gerade einmal bescheidene 7 Prozent, während „frisches Geld” 93 Prozent zum Gesamtwachstum des Finanzvermögens beiträgt. Der Allianz Global Wealth Report 2021 hat dieses Thema ebenfalls aufgegriffen und liefert Zahlen für den Zeitraum von 2016 bis 2020.

Vermögensbildung für jedermann: Anteil des Wertzuwaches am Gesamtwachstum des Finanzvermögens, in %, 2016-2020

Auch hier ist Deutschland erheblich hinterher. Während beispielsweise in Dänemark mehr als 80 Prozent, in den Niederlanden Dreiviertel und in UK zwei Drittel des Vermögenswachstum auf Wertzuwäche im Portfolio entfallen, sind es in Deutschland nur 16 Prozent. Man kann sagen: Während andere — zumindest teilweise — ihr Geld für sich arbeiten lassen, arbeiten die Deutschen für ihr Geld.

Um das zu verstehen, muss man das Anlageverhalten der Deutschen betrachten. „Die deutschen Haushalte setzen vor allem auf konservative, risikoarme Anlagevehikel: Trotz Nullzinsen und realer Wertverluste machen Bankeinlagen und Bargeld rund zwei Fünftel des privaten Geldvermögens in Deutschland aus”, schreibt Arne Holzhausen in seinem Beitrag „Das Vermögen der Deutschen und ihr Sparverhalten im internationalen Vergleich” in dem von Hans-Jörg Naumer herausgegebenen Sammelband „Vermögensbildungspolitik. Wohlstand steigern—Ungleichheit verringern—Souveränität stärken” (Wiesbaden: SpringerGabler 2021). Nullzinsen gehören zwar inzwischen der Vergangenheit an, aber auch nach den Zahlen des neuesten Allianz Global Wealth Report setzen die Deutschen zu mehr als zwei Fünftel (43 Prozent) auf Bankeinlagen, während Wertpapiere nur 27 Prozent des Finanzvermögens ausmachen.

Vermögensbildung für jedermann: Anlageklassen in Prozent des gesamten Finanzvermögens 2022

Holzhausen hat vollkommen Recht wenn er feststellt, das deutsche Sparverhalten lasse sich als „eher sicherheitsorientiert” charakterisieren. Diese Eigenart des deutschen Sparverhalten kristallisiere sich in einer Kennzahl: der (impliziten) Rendite des Geldvermögens.

Vermögensbildung für jedermann: Nominale Rendite des Geldvermögens, ausgewählte Euroländer, Durchschnitt 2010-2019, in %

Im Vergleich mit einigen ausgewählten Euro-Ländern kommt Deutschland gerade einmal auf eine nominale Rendite des Geldvermögens von 2,8 Prozent. Die Niederländer bringen es auf 6,7, Finnland auf 6,2 und Frankreich auf immerhin 4,3 Prozent.

Mit Blick auf solche Zahlen trifft das „eher sicherheitsorientierte” Sparverhalten für Deutschland insgesamt zu. Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Armen und Reichen bei der Geldanlage. Das hat kürzlich der Bonner Ökonom Christian Bayer in einem Beitrag für die F.A.Z. anhand der Vermögens- und Haushaltsportfolios entlang der Vermögensverteilung dargestellt.

Vermögensbildung für jedermann: Vermögens- und Haushaltsportfolios in Deutschland, in Euro

Während bei den obersten 10 Prozent geschäftliche Investitionen — darunter fasst Bayer vermietete Immobilien, Geschäftsvermögen und GmbH-Anteile sowie Aktien und Investmentfondanteile — gut 52 Prozent des Gesamtvermögens ausmachen, spielen diese für die untere Hälfte der Vermögensverteilung praktisch keine Rolle. Das Vermögen besteht hier zu 39 Prozent aus Sparguthaben und Anleihen. Die Mittelschicht (50-90 Prozent) setzt zu 21 Prozent auf geschäftliche Investitionen, während hier mit 56 Prozent Anteil selbstgenutztes Wohneigentum eine dominante Rolle spielt.

Die Portfoliozusammensetzung hat natürlich Folgen für die Rendite, wie die beiden folgenden Abbildungen zeigen.

Vermögensbildung für jedermann: Reale Rendite von Anlageklassen in Prozent p.a. zwischen 1970 und 2020

Über einen Zeitraum von 50 Jahren haben Aktien eine durchschnittliche jährliche Rendite von knapp 6 Prozent gebracht, Immobilieninvestoren konnten sich über 4,7 Prozent jährliche Rendite freuen, während Bankguthaben zu einem Verlust von 0,2 Prozent führten.

Vermögensbildung für jedermann: Reale Portfoliorenditen nach Vermögensverteilung in Prozent p.a. zwischen 1970 und 2020

Die Unterschiede bei der Geldanlage zwischen reicheren und ärmeren Haushalten führt am Ende zu unterschiedlichen realen Portfoliorenditen. Dabei wirken sich auch geringe Renditeunterschiede langfristig erheblich aus. Bayer schreibt dazu: „Selbst der auf den ersten Blick geringe Renditeunterschied zwischen der oberen Mittelschicht und der Oberschicht ist langfristig erheblich: Aus einem Euro, der 1970 im Portfolio der Oberschicht angelegt wurde, sind real, das heißt, selbst nach Abzug der Inflation, bis 2020 neun Euro geworden. Mit dem oberen Mittelschicht-Portfolio wurden es sieben Euro und so angelegt, wie es die ärmste Hälfte der Bevölkerung tut, lediglich zwei Euro.”

Die nominale Rendite des Geldvermögens in Deutschland zeigt ebenso wie die realen Portfoliorenditen entlang der Vermögensverteilung: „Sparen, das nur auf vermeintliche Sicherheit setzt, verspielt die Chance, die die Kapitalmärkte für Investoren bieten”, wie es Holzhausen (Quelle s. oben) formuliert. Ohne eine stärkere risiko- und renditeorientierte Anlagepolitik ließen sich langfristige Sparziele, beispielsweise die Absicherung im Alter nicht erreichen.

Aber es gibt Hoffnung, wie die Aktionärszahlen 2022 des Deutschen Aktieninstituts zeigen. „12,9 Millionen Menschen in Deutschland begeistern sich in 2022 für Aktien, Aktienfonds oder ETFs”, freut sich das DAI.

Vermögensbildung für jedermann: Aktionäre und Anleger in Fonds/ETFs in Deutschland, 2001-2022, in Tausend

Auch 2022 hätten aktienbasierte Fonds und ETFs als beliebteste Form der Aktienanlage die Nase vorn. 7,6 Millionen Menschen hielten ausschließlich Fonds oder ETFs im Depot. Rund 2,4 Millionen Anleger setzten ausschließlich auf die direkte Investition in Unternehmen, also das Investment in Einzelaktien. 2,9 Millionen Aktiensparer mischten beide Formen der Aktienanlage. Sie kombinierten also Fonds/ETFs mit der Anlage in Einzelaktien. Damit gäbe rund 10,5 Millionen Personen, die Fonds oder ETFs nutzen. Dies entspreche acht von zehn Aktiensparern. Rund 5,3 Millionen Bürger hielten Aktien und seien damit direkt an Unternehmen beteiligt, so das DAI.

Aber: „Wo Licht ist, ist auch Schatten. Während beispielsweise 46 Prozent der Menschen mit einem monatlichen Einkommen von 4.000 Euro und mehr Aktien oder Fonds/ETF besitzen, sind es in der Gruppe mit Einkommen von bis zu 1.000 Euro lediglich rund 7 Prozent. Ziel muss es aber sein, dass alle Menschen in Deutschland an den attraktiven Erträgen des Aktiensparens teilhaben.”

In den oberen Dezilen der Einkommens- und Vermögensverteilung spielen Wertpapiere — neben weiteren „geschäftlichen Investitionen” (s. oben) — bei der Geldanlage eine weit größere Rolle als in der ärmeren Hälfte der Bevölkerung. Das hat etwas mit der Sparfähigkeit zu tun, aber nicht nur damit.

Vermögensbildung für jedermann: Über die Sparfähigkeit der Deutschen

Wenn wir hier von „Vermögensbildung” sprechen, dann ist die Höhe des Vermögens gänzlich unbestimmt. Es gibt große, mittlere und kleine Vermögen, für unsere Zwecke ist es müßig zu definieren, was jeweils groß, mittel und klein ist. Entscheidend ist: Auch ein kleines Vermögen ist ein Vermögen. Dass man bereits mit kleinen Beträgen ein respektables Vermögen aufbauen kann, zeigt Hans-Jörg Naumer in seinem Buch zur „Vermögensbildungspolitik” anhand folgenden Beispiels für Deutschland: Hätten alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 1976 einen Sparplan auf den Dax mit 25 Euro pro Monat begonnen und den Betrag alle zehn Jahre um fünf Euro pro Monat erhöht, würde ihnen der Dax heute — rein rechnerisch — mehr als 2,2-mal gehören. Das zeigt die folgende Tabelle.

Vermögensbildung für jedermann: Entwicklung Sparplan auf den Dax seit 1976

Wer von Anfang an dabei war, würde heute nach Kosten über ein Vermögen von knapp 122.000 Euro verfügen — eingezahlt wurden nur knapp 18.000 Euro, rechnet Naumer vor. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung eines ETF-Sparplans mit 25, 50, 100 und 150 Euro pro Monat ohne Dynamisierung über 45 Jahre.

Vermögensbildung für jedermann: Gesamtsparleistung ETF-Sparplan über 45 Jahre

Selbst mit 25 Euro pro Monat kommt man am Ende zu einem Vermögen von 64.000 Euro. Das mag man kein großes Vermögen nennen, aber ein Vermögen ist es allemal.

Fragt sich: Ist das leistbar? Können sich deutsche Haushalte auch in den unteren Einkommensdezilen 25 Euro pro Monat für die Geldanlage leisten? „Für einen Haushalt, dem am Monatsende nach Abzug aller laufenden Ausgaben nur 10 € zur Verfügung bleiben, ist es unwichtig, ob er für diese 10 € ein Prozent, fünf Prozent oder zehn Prozent Rendite erhält.” Das schreiben Andreas Peichl und Paul Schüle, beide ifo Zentrum für Makroökonomik und Befragungen, in ihrem Beitrag „Eine Bestandsaufnahme der Sparfähigkeit der Deutschen: Wer kann was zurücklegen und wie viel?” für den bereits erwähnten, von Hans-Jörg Naumer herausgegebenen Band zur Vermögensbildungspolitik.

10 Euro „nach Abzug aller laufenden Ausgaben”? Sparfähigkeit definieren Peichl/Schüle als das Haushaltsnettoeinkommen abzüglich aller lebensnotwendigen Konsumausgaben. Als „lebensnotwendig” werden von den Autoren alle Konsumausgaben mit Ausnahme der Kategorien (laut Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, EVS) „Alkoholische Getränke, Tabakwaren”, „Freizeit, Unterhaltung, Kultur”, „Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen” und „Andere Waren und Dienstleistungen” betrachtet. „Der verbleibende Betrag steht potentiell zur Ersparnis zur Verfügung und könnte — bei gegebener Sparwilligkeit — investiert werden.” Unsere Hypothese: Es dürfte in so gut wie jedem Haushalt möglich sein, vom Haushaltsnettoeinkommen nach Abzug aller lebensnotwendigen Konsumausgaben 25 Euro pro Monat zur Seite legen zu können. 25 Euro im Monat entsprechen 0,822 Cent pro Tag. Bei entsprechendem Willen müsste das gehen. Und was man damit machen kann, ist oben zu sehen.

Peichl/Schüle meinen zudem, für Haushalte mit geringer Sparfähigkeit sei die Möglichkeit, in bestimmte Anlageklassen zu investieren, „stark eingeschränkt, weil die Anlage zum Beispiel mit Fixkosten verbunden ist”. Dass „bestimmte Anlageklassen” — gemeint sind hier unter anderem wohl Wertpapierinvestments — mit Fixkosten verbunden sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Fixkosten sind aber kein Argument gegen Investments in „bestimmte Anlageklassen” — und zwar unabhängig von der Sparfähigkeit, wie die oben gezeigten Beispiele belegen. Die Kosten von Anlagevehikeln sind auch sehr unterschiedlich; dies zeigt allein der Vergleich aktiv gemanagter Investmentfonds mit passiven Investments wie ETFs.

Natürlich setzt der Vermögensaufbau eine ausreichende Sparfähigkeit voraus. Peichl und Schüle gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, ob möglicherweise „der Grund für das vergleichsweise geringe Vermögen deutscher Privathaushalte anstatt in suboptimalem Anlageverhalten eher in mangelnder Sparfähigkeit zu suchen ist”.

Für die neueste Befragungswelle der EVS (2018) ergibt sich laut Peichl/Schüle folgendes Bild: Zieht man von dem durchschnittlichen Nettoeinkommen der deutschen Haushalte in Höhe von 3.744 Euro die lebensnotwendigen Konsumausgaben über 2.077 Euro ab, ergibt sich als Differenz eine potentielle Sparfähigkeit in Höhe von 1.667 Euro. „Im Durchschnitt hätte in deutscher Haushalt also fast die Hälfte seines verfügbaren Nettoeinkommens sparen können. Auch bei einer erweiterten Definition der zu deckenden Grundbedürfnisse bleiben im Durchschnitt mindestens 1.000 € zur Ersparnis übrig. Tatsächlich gespart wurden monatlich allerdings nur 547 €”, schreiben Peichl/Schüle. Die Sparquote lag demnach bei 14,6 Prozent.

Während die Sparfähigkeit der deutschen Haushalte insgesamt hoch sei, müsse man allerdings die Verteilung der Sparfähigkeit beachten. „Haushalte in den obersten 10 % der Einkommensverteilung erlebten von 2003 bis 2018 eine Steigerung ihrer Sparfähigkeit um 20 %, während Haushalte in den untersten 10 % der Einkommensverteilung von einem Einbruch von über 10 % betroffen waren.” (S. 106) Die Mittelschicht und das untere Ende der Einkommensverteilung akkumulierten vergleichsweise wenig Vermögen. Die folgende Tabelle zeige, „dass hier Sparfähigkeit und -tätigkeit deutlich geringer sind. Haushalte im ersten Quintil der Einkommensverteilung sparen gar nicht, sondern bauen im Durchschnitt sogar Vermögen ab”.

Vermögensbildung für jedermann: Heterogenität in Sparfähigkeit und Sparquoten

Neben dem Sparverhalten variiere auch die Portfoliostruktur stark mit dem Einkommen. Insgesamt werde in Deutschland im internationalen Vergleich relativ stark in wenig renditeträchtige Anlageformen, wie Sparkonten, Girokonten, Tagesgeld und weitere Bankeinlagen, investiert. Allerdings gebe es große Unterschiede im Anlageverhalten entlang der Einkommensverteilung: So „(…) besitzen 56 % der Haushalte im obersten Quintil Wertpapiere, während dies unter den einkommensschwächsten 20 % nur auf jeden zehnten Haushalt zutrifft.”

Alles in allem „spricht die allgemein hohe Sparfähigkeit und Spartätigkeit deutscher Haushalte eher dafür, dass für die im Durchschnitt schwache Vermögensbildung tatsächlich das Anlageverhalten ausschlaggebend ist — und nicht mangelnde Sparfähigkeit”, resümieren Peichl/Schüle. Der Grund für das vergleichsweise geringe Vermögen deutscher Privathaushalte ist also tatsächlich in suboptimalem Anlageverhalten zu suchen. Den Haushalten am unteren Rand der Einkommensverteilung gehe dagegen tatsächlich die Sparfähigkeit ab. „Die Beträge, die diese Haushalte investieren können, sind so gering, dass das Anlageverhalten letztlich irrelevant ist”, meinen Peichl/Schüle. „Unter Miteinbeziehung von Risikoaversion und Liquiditätsgesichtspunkten ist die Geldanlage auf Girokonten für viele dieser Haushalte tatsächlich sogar die beste Option.”

Das sehen wir anders. Die Geldanlage auf Girokonten ist sogar für so gut wie keinen Haushalt eine gute Option. Das gilt nicht nur (wie aktuell) in Zeiten höherer Inflation, sondern auch bei „normalen” Inflationsraten ist das Girokonto (und andere Formen der Bankeinlage) der falsche Ort, um Geld „anzulegen”. Beträge, die die Haushalte am unteren Rand der Einkommensverteilung zurücklegen können: Wie wir oben gesehen haben, braucht es 0,822 Cent pro Tag, um im Monat 25 Euro in einen Wertpapiersparplan investieren zu können. Bei kritischer Prüfung der „lebensnotwendigen” Haushaltsausgaben sollte das für viele machbar sein. Liquidität ist ebenfalls kein Problem. Beträge, die beispielsweise in einen ETF-Sparplan eingezahlt werden, sind jederzeit verfügbar. Risikoaversion ist allerdings ein Problem. Und einer der wesentlichen Gründe für das suboptimale Anlageverhalten der Deutschen. Das hilft nur eins: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung.

Vermögensbildung für jedermann: Über Wohneigentum in Deutschland

Auch Peichl/Schüle sind der Meinung, die deutschen Haushalte würden davon profitieren, „langfristig mehr in Aktien und Unternehmensbeteiligungen zu investieren und weniger Geld auf Giro- oder Tagesgeldkonten zu horten”. Der entscheidende Faktor, warum der Medianhaushalt in Deutschland deutlich weniger Vermögen besitze als der Medianhaushalt in Spanien oder Italien, sei aber der geringe Anteil von Immobilienbesitzern. Während die Eigentümerquote in diesen Ländern bei über 70 Prozent liegt, besäßen in Deutschland nur 43,7 Prozent der Haushalte selbstgenutztes Wohneigentum.

Die folgende Tabelle zeigt die Wohneigentumsquote und das Medianvermögen für ausgewählte europäische Länder.

Vermögensbildung für jedermann: Wohneigentumsquote und Medianvermögen in ausgewählten europäischen Ländern

Im Vergleich zu Ländern mit Wohneigentumsquoten jenseits der 70 Prozent weist Deutschland ein gegenüber diesen Ländern deutlich niedrigeres Medianvermögen auf. Auf den Zusammenhang zwischen Wohneigentumsquote und Vermögensungleichheit haben wir an anderer Stelle schon aufmerksam gemacht: Eine höhere Vermögenskonzentration geht mit einer niedrigeren Wohneigentumsquote einher, umgekehrt sinkt die Vermögensungleichheit, je höher die Wohneigentumsquote ist.

Mit Ausnahme der Schweiz gibt es kein anderes europäisches Land mit einer so niedrigen Wohneigentumsquote wie in Deutschland. Genau darauf seien die hohen Unterschiede im Nettovermögen der Haushalte und Personen in Deutschland zu einem großen Anteil zurückzuführen, schreiben Michael Voigtländer und Pekka Sagner in ihrem Beitrag „Wohneigentum und Vermögensbildung: Aufgaben für die Sozial- und Regionalpolitik” für dem Naumer’schen Sammelband „Vermögensbildungspolitik”.

Wie hoch sind diese Unterschiede in Zahlen?

  • „Mieter verfügen im Durchschnitt über ein Nettovermögen von lediglich 26.000 €, Eigentümer hingegen können Vermögen im Wert von durchschnittlich 180.000 € ihr Eigen nennen. Eigentümer sind dabei über alles Altersgruppen hinweg vermögender als Mieter”, so Voigtländer/Sagner.
  • Kai H. Warnecke zieht in seinem Beitrag für den Naumer-Sammelband Zahlen aus der Studie „Die Vermögensverteilung im internationalen Vergleich” (2018) der vbw Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft heran. Danach betrug das mittlere Nettovermögen in der Gruppe der Wohneigentümer im Jahr 2014 rund 221.500 Euro, in der Gruppe der Mieter 10.000 Euro.
  • Auf deutliche Vermögensunterschiede zwischen Wohneigentümern und Mietern weisen laut Warnecke auch Reiner Braun und Markus Holler in Teil 3 „Wohnflächen und Vermögen” der von empirica im Auftrag der LBS Bundesgeschäftsstelle Berlin erstellten Studie „Vermögensbildung in Deutschland” (2017) hin. Laut dem Berliner Forschungsinstitut besitzen Wohneigentümer im Mittel das sieben- bis achtfache Vermögen gegenüber Mieterhaushalten derselben Altersklasse. Auch die besondere Altersvorsorgefunktion des Wohneigentums lässt sich mit Zahlen untermauern: Demnach verfügten Eigentümer kurz vor dem Ruhestand gegenüber Mietern derselben Einkommensschicht im bundesweiten Durchschnitt über nahezu das doppelte Geldvermögen (Faktor 1,7) und über das knapp sechsfache Gesamtvermögen (Faktor 5,8).

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Wenn wir über Vermögensbildung für jedermann sprechen, kommen wir an dem Thema Wohneigentum nicht vorbei. Die Bildung von Wohneigentum wird entlang der Einkommensverteilung nicht für alle Haushalte in Frage kommen, aber es könnte für viel mehr Haushalte eine realistische Option sein, wenn staatlicherseits etwas unternommen würde, um die Eigenkapitalbasis der Haushalte zu stärken, die unzähligen, kostenintensiven Bauauflagen zu reduzieren und nicht zuletzt die erheblichen Nebenkosten zu senken (bspw. Senkung oder Abschaffung der Grunderwerbsteuer). Auch die Förderung des Wohneigentums durch Mietkauf-Modelle kann einen Beitrag zur Vermögensbildung für jedermann leisten (s. hierzu den Beitrag von Grabka/Gründling, in: Naumer, Hans-Jörg: Vermögensbildungspolitik).

Vermögensbildung für jedermann: Über finanzielle Bildung in Deutschland

Das Sparverhalten der Deutschen ist viel zu risikoavers und viel zu wenig renditeorientiert. Das demzufolge im internationalen Vergleich deutlich geringere Vermögen der Haushalte und Personen in Deutschland ist dabei nicht auf eine zu geringe Sparfähigkeit zurückzuführen. Die Sparfähigkeit ist über weite Strecken entlang der Einkommensverteilung gegeben, in unterschiedlichem Maße natürlich, aber auch in den unteren Einkommendezilen ließe sich mit kleinen Beträgen (0,822 Cent am Tag = 25 Euro im Monat) durchaus etwas machen. Schließlich: Um zu verstehen, warum Deutschland bei der Vermögensbildung so weit hinterherhinkt, muss man sich die Wohneigentumsquote vor Augen führen. Viel zu wenige leben in der eigenen Wohnung oder dem eigenen Haus.

Bei Betrachtung dieser Gemengelage landet man irgendwann vor der Frage, wie es eigentlich um die finanzielle Bildung in Deutschland bestellt ist. Laut Dirk Loerwald, Professor für Ökonomische Bildung an der Universität Oldenburg, nicht gut. In seinem Beitrag „‚Wer nichts weiß, muss alles glauben’ — Finanzielle Bildung als Beitrag zur Mündigkeit” für den hier schon mehrfach angesprochenen Sammelband von Hans-Jörg Naumer schreibt Loerwald, zahlreiche Studien zeigten, „dass es um das Finanzwissen von Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland aber auch international nicht gut bestellt ist”.

Finanzielle Bildung wird verstanden „als ein integraler Bestandteil von ökonomischer Bildung, die wiederum ein Element moderner Allgemeinbildung ist”. Im Englischen wird der Begriff „financial literacy” verwendet. Die OECD definiert financial literacy „als die Befähigung von Kindern und Jugendlichen ‚to make sound financial decisions’”.

Ein umfassender Ansatz finanzieller Bildung als Teil ökonomischer Bildung sei jedoch nicht allein auf die Verbraucherperspektive beschränkt, so Loerwald. Neben dem mündigen Verbraucher, der „sound financial decisions” in eigener Sache trifft, seien der mündige Erwerbstätige und der mündige Wirtschaftsbürger weitere Leitbilder ökonomischer Bildung. Offensichtlich sind wir von diesen Leitbildern aber recht weit entfernt: Die curriculare Heterogenität führe, so Loerwald, „zum Teil zu fast schon homöopathischen Dosen an Finanzbildung in den Lehrplänen und Kerncurricula. Von einer flächendeckenden ökonomischen Grundbildung sind wir in deutschen Schulen vielerorts noch weit entfernt, von einer flächendeckenden finanziellen Bildung kann gar keine Rede sein.”

Von einer flächendeckenden finanziellen Bildung kann gar keine Rede sein — solange sich das nicht ändert, bleibt die Vermögensbildung für jedermann ein frommer Wunsch.

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