Die Fragen, ob und gegebenenfalls wie und warum sich die Persönlichkeitsmerkmale der Reichen von denen anderen Menschen unterscheiden, ist immer mal wieder Gegenstand psychologischer Betrachtungen. Auch in der Literatur hat es sie gegeben. „Let me tell you about the very rich. They are different from you and me.” So beginnt die Geschichte „The Rich Boy” von F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1926. Zehn Jahre später sagte Hemingway beim Mittagessen mit seinem und Fitzgeralds Verleger Max Perkins und der Kritikerin Mary Colum: „Ich lerne die Reichen kennen.” Darauf erwiderte Colum: „Der einzige Unterschied zwischen den Reichen und anderen Menschen ist, dass die Reichen mehr Geld haben.”
Colums Bemerkung griff Hemingway in einer seiner bekanntesten Geschichten auf, wobei er sich selbst durch Fitzgerald ersetzte. Die Hauptfigur in „The Snows of Kilimanjaro” (1938) erinnert sich an „den armen Scott Fitzgerald und seine romantische Ehrfurcht vor [den Reichen] und wie er einmal eine Geschichte begonnen hatte, die mit den Worten begann: ‚Die sehr Reichen sind anders als du und ich.’ Und wie jemand zu Scott gesagt hatte, ja, sie haben mehr Geld.” (New York Times, 13.11.1988)
War es das schon? Unterscheiden sich die sehr Reichen von allen anderen allein dadurch, dass sie per definitionem viel mehr Geld haben?
So viel können wir vorwegnehmen: Es ist nicht allein „mehr Geld”, das die Reichen von anderen unterscheidet. Laut der im vergangenen Jahr von Forschern des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Universität Münster vorgelegten Studie „The personality traits of self-made and inherited millionaires” sind Millionäre risikotoleranter, emotional stabiler, offener, extrovertierter und gewissenhafter als die Allgemeinbevölkerung.
Umstrittener als die Frage, wie sich die Persönlichkeitsmerkmale der Reichen von anderen unterscheiden, sei die Frage, warum dies der Fall sein könnte, so die Studienautoren. Über die Untersuchung der Persönlichkeitsmerkmale hinaus fragen sie danach, ob die besondere Persönlichkeit der Reichen eine Folge ihres Reichtums ist, oder ein Faktor, der zu ihrem Reichtum beiträgt. Derzeit sei nicht bekannt, ob das Erben von Geld und das Aufwachsen in Reichtum zur Entwicklung eines prototypischen „reichen” Persönlichkeitsprofils führe, oder ob ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil den wirtschaftlichen Erfolg aus eigener Kraft fördere.
Nach der von Mitja D. Back (Universität Münster) und Carsten Schröder (FU Berlin, DIW) geleiteten Studie ist das „reiche” Persönlichkeitsprofil bei Personen, die ihren Reichtum durch eigene Anstrengungen erworben hatten („Selbstmacher”), stärker ausgeprägt als bei Personen, die in den Reichtum hineingeboren worden waren („Erben”). Die Studienergebnisse deuten also auf eine einzigartige Konfiguration von Persönlichkeitsmerkmalen hin, die zum wirtschaftlichen Erfolg von Selfmade-Millionären beitragen.
Demnach sind spezifische Persönlichkeitsmerkmale der Reichen eher keine Folge ihres Reichtums, sondern vielmehr ein Faktor, der ihren Reichtum begünstigt. Genauer gesagt: Ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil fördert den wirtschaftlichen Erfolg aus eigener Kraft. Ein Vermögen zu erben und in Reichtum aufzuwachsen führt dagegen nicht zwangsläufig zur Entwicklung eines prototypischen „reichen” Persönlichkeitsprofils.
Persönlichkeitsmerkmale der Reichen: Wer und was wurde untersucht?
Die Studienautoren haben zwei große Stichproben verwendet: die Allgemeinbevölkerung (N = 23.721) und reiche Personen mit einem individuellen Nettovermögen von mindestens einer Million Euro; dies umfasst die obersten 1,6 Prozent der Vermögensverteilung in Deutschland (N = 1.125). Innerhalb dieser Stichprobe haben 190 Personen ein Nettovermögen von mindestens fünf Millionen Euro und 61 von mindestens zehn Millionen Euro. Die reichsten fünf Befragten haben ein Nettovermögen zwischen 100 und 131 Millionen Euro.
Die Studie will zwei Fragen beantworten: Zum einen geht es darum, wie sich die Allgemeinbevölkerung und die Reichen in ihren Persönlichkeitsprofilen unterscheiden; zum anderen wird untersucht, worauf diese Unterschiede zurückzuführen sind. Dazu werden zwei mögliche Erklärungen betrachtet:
- Unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale der Reichen sind darauf zurückzuführen, dass die Personen bereits in den Reichtum hineingeboren wurden. In vermögenden Umständen aufzuwachsen prägt also die eigene Persönlichkeit, sie ist eine Folge des (vorhandenen) Reichtums.
- Die Persönlichkeitsmerkmale der Reichen begünstigen ihren wirtschaftlichen Erfolg und tragen dazu bei, ein Vermögen aus eigener Kraft aufzubauen. In diesem Fall ist die eigene Persönlichkeit eine Ursache für selbst geschaffenen Reichtum.
Für die Konstruktion eines prototypischen Persönlichkeitsprofils der Reichen haben Back/Schröder et al. zunächst auf die Big Five-Persönlichkeitsmerkmale (Fünf-Faktoren-Modell, FFM) von Paul T. Costa und Robert R. McCrae zurückgegriffen:
- Neurotizismus, die Tendenz, besorgt/nervös zu sein; Neigung, ängstlich oder pessimistisch zu sein und sich häufig Sorgen zu machen, was schief gehen könnte.
- Extraversion, die Tendenz, aktiv/gesellig zu sein; redselig, unternehmungslustig, energiegeladen, mutig.
- Offenheit für Erfahrungen, die Tendenz, erfinderisch/neugierig/fantasievoll zu sein; die Fähigkeit, Erfahrungen zu machen, sowie Kreativität und Erfindungsreichtum.
- Verträglichkeit (agreeableness), die Tendenz, freundlich/mitfühlend zu sein; die Neigung, anderen zu vertrauen und mit ihnen zusammenzuarbeiten.
- Gewissenhaftigkeit (conscientiousness), die Tendenz, organisiert und beständig/ausdauernd, pflichtbewusst und gründlich zu sein. Mit dem Begriff Gewissenhaftigkeit werden aber auch Fleiß, Disziplin, Ehrgeiz und Ausdauer assoziiert.
Rainer Zitelmann hat in seinem Buch „Psychologie der Superreichen” (München 2017) ergänzend angemerkt, es gebe immer wieder Hinweise darauf, „Risikobereitschaft” müsse als sechster Basisfaktor für die Persönlichkeit berücksichtigt werden. So hält es auch die hier besprochene Studie.
Die Konstruktion des prototypischen Persönlichkeitsprofils der Reichen in Bezug auf die Big Five und die Risikobereitschaft werde durch frühere Forschungsergebnisse untermauert, schreiben die Autoren. Danach wiesen wohlhabende Personen höhere Werte bei Extraversion, Gewissenhaftigkeit, Offenheit und Narzissmus sowie niedrigere Werte bei Neurotizismus und Verträglichkeit auf. Auch gebe es Hinweise darauf, dass Risikobereitschaft mit Wohlstand und Haushaltseinkommen zusammenhänge.
Darüber hinaus sei Narzissmus eine der Eigenschaften, die bei wohlhabenden Personen etwas stärker ausgeprägt sei, verbunden mit einer erhöhten Risikobereitschaft. Schließlich besitze eine beträchtliche Anzahl wohlhabender Personen Unternehmen, und Unternehmertum werde mit einem Persönlichkeitsprofil assoziiert, das hohe Werte „‚in Extraversion, Gewissenhaftigkeit und Offenheit’” und niedrige Werte von „‚Verträglichkeit und Neurotizismus’” aufweise.
Es könne also davon ausgegangen werden, dass das prototypische Profil reicher Personen aus den höchstmöglichen Werten für Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Risikobereitschaft sowie aus den niedrigstmöglichen Werten für Neurotizismus und Verträglichkeit bestehe.
Persönlichkeitsmerkmale der Reichen: Was sind die Ergebnisse?
Die Ergebnisse zu den beiden forschungsleitenden Fragen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
(1) Wie unterscheiden sich die Allgemeinbevölkerung und die Reichen in ihren Persönlichkeitsprofilen?
Der Vergleich von Personen aus der reichen und der nicht reichen Bevölkerung in Bezug auf jede der sechs Persönlichkeitseigenschaften (Big Five und Risikobereitschaft) zeige: Die Reichen seien wesentlich risikotoleranter, offener, extravertierter und gewissenhafter als die Allgemeinbevölkerung, aber weniger neurotisch und weniger verträglich.
(2) Sind diese Unterschiede darauf zurückzuführen, dass die Personen in den Reichtum hineingeboren wurden oder den Reichtum selbst erworben haben?
Zunächst einmal hätten bei den Reichen alle Untergruppen dem durchschnittlichen Profil der Reichen entsprochen, allerdings in unterschiedlichem Maße. Selfmade-Millionäre und Millionäre, die ihr Vermögen geerbt haben, unterschieden sich in ihrem Persönlichkeitsprofil: Selfmades zeigten die höchsten Werte für Risikotoleranz, Offenheit, Extraversion und Gewissenhaftigkeit und die niedrigsten für Neurotizismus. Erben wiesen die niedrigsten Werte für Risikotoleranz, Offenheit, Extraversion und Gewissenhaftigkeit und die höchsten für Neurotizismus auf.
Allem Anschein nach gibt es auch einen Zusammenhang zwischen Risikobereitschaft und der Höhe des Vermögens. Je reicher die Selfmade-Millionäre waren, desto mehr ähnelten sie dem prototypischen Profil, ein Ergebnis, das insbesondere durch ihre höhere Risikotoleranz bedingt sei, so die Studie. Mit anderen Worten: Je mehr die Personen eine risikotolerante Selfmade-Persönlichkeit hatten, desto höher war ihr Vermögen.
Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass das Persönlichkeitsprofil reicher Selfmademen in erster Linie für die Persönlichkeitsunterschiede zwischen Reichen und Nicht-Reichen verantwortlich sei. In jedem der Einzelmerkmale unterschieden sie sich von reichen Erben. Umgekehrt entsprachen die reichen Erben am wenigsten dem prototypischen Profil der Reichen.
Die Erkenntnisse aus der Studie legten darüber hinaus die Theorie nahe, dass das Persönlichkeitsprofil von Millionären daraus resultiere, dass Personen mit dem Eigenschaftsprofil von Selfmade-Millionären (insbesondere Personen, bei denen dieses Profil stärker ausgeprägt ist) eine höhere Chance hätten, reich zu werden.
Die Persönlichkeit könne also eine „treibende Kraft bei der Anhäufung von Reichtum” sein — und nicht nur eine Folge davon. Wer dagegen in Reichtum geboren werde, entwickele nicht automatisch ein Persönlichkeitsprofil, wie es für Reiche prototypisch sei.
Nun ist es nicht so, dass dieses „reiche” Persönlichkeitsprofil automatisch zu einem großen Vermögen führt. Viele andere Faktoren trügen zur Position eines Individuums in der Vermögensverteilung bei, wie beispielsweise das Anfangskapital, die Bildung und die Fähigkeiten, so die Studie.
Alles sicher weitere Faktoren, die den Erwerb eines Vermögens begünstigen. Ein Faktor wird aber nicht erwähnt: Glück.
Erfolg und Glück
In einer Besprechung der Untersuchung von Back/Schröder et al. schreibt die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Irena O’Brien auf der Webseite „The Neuroscience School” unter Bezugnahme auf einen Beitrag von Michiel de Hoog: „Self-made men and women are largely a myth. The best candidate only wins in a small number of cases. In a hyper-competitive economy, chance determines who wins more often than not, and more so than in the past.” Und weiter: „There is more to creating wealth than personality traits. I think we can all agree that success is the sum of talent, hard work, and luck.”
Wenn viele talentierte, hart arbeitende Menschen um den Erfolg konkurrieren müssten, sei der Qualitätsunterschied zwischen den Besten der Besten nur minimal; ein hochqualifizierter Teilnehmer mit ähnlichen Eigenschaften wie die reichen Individuen und mit ein bisschen Pech werde gegen einen etwas weniger qualifizierten Teilnehmer verlieren, der mehr Glück habe, so O’Brien.
Das lässt sich empirisch belegen. Der Wirtschaftswissenschaftler Robert H. Frank hat 2016 in einer Simulation einen Basisfall mit 100.000 Teilnehmern untersucht, bei dem das Glück nur zwei Prozent der Gesamtleistung ausmacht. Die verbleibenden 98 Prozent entfallen zu gleichen Teilen auf Fähigkeit und Anstrengung. Die Fähigkeits-, Anstrengungs- und Glückswerte jedes Teilnehmers sind unabhängig voneinander gezogene Zufallszahlen, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit irgendwo zwischen 0 und 100 liegen.
Der durchschnittliche Glückswert der Gewinner dieser Simulation liegt laut Frank bei 90,23, und 78,1 Prozent der Gewinner (s. folgende Abb.) hatten nicht die höchste Summe aus Talent- und Anstrengungswerten. In den meisten dieser Fälle habe es mehrere andere mit höheren kombinierten Talent- und Anstrengungswerten als der des Gewinners gegeben (vgl. Robert H. Frank: Success and Luck. Good Fortune and the Myth of Meritocracy, Princeton 2016, S. 65f.).
Selbst wenn also das Glück nur einen winzigen Teil der Gesamtleistung ausmache, werde der Gewinner eines großen Wettbewerbs selten der Teilnehmer mit den höchsten Werten für Fähigkeit und Anstrengung sein, sondern in der Regel einer der glücklichsten, so Frank. Anders ausgedrückt: Der talentierteste und fleißigste aller Teilnehmer werde in der Regel von einem Konkurrenten überflügelt, der fast genauso talentiert und fleißig sei, aber einfach mehr Glück habe (vgl. a.a.O., S. 11, 66, 156)
Erhöht man den Anteil des Faktor „Glück” auf (realistischere) zehn Prozent, so dass das Ergebnis zu 90 Prozent auf Fähigkeit und harte Arbeit zurückzuführen ist, schwinden die Chancen der besten Kandidaten, das Rennen zu gewinnen, weiter. Wie die obige Abbildung zeigt, wird in einem Pool von 1.000 / 10.000 / 100.000 Teilnehmern der beste Kandidat, also der mit den höchsten Werten für „Fähigkeit” und „Anstrengung”, in 69 Prozent / 83,1 Prozent / 92,3 Prozent der Fälle NICHT gewinnen.
Die Erkenntnis, dass scheinbar triviale Zufallsereignisse oft eine enorme Rolle spielten, bedeute nicht, dass Erfolg im Leben unabhängig von Talent und Anstrengung sei, so Frank. Menschen, die materiellen Erfolg im großen Stil hätten, seien fast immer sowohl hochbegabt als auch extrem fleißig, genau wie es der Humankapitalansatz nahelege. Aber die Simulationen machten auch deutlich, warum so viele extrem talentierte und fleißige Menschen kein nennenswertes Maß an materiellem Erfolg erreichten, wie es der Humankapitalansatz nicht tue. Viele von ihnen hätten einfach weniger Glück als die Gewinner. Auch Zufälle spielten also eine Rolle. Materieller Erfolg sei in vielen Bereichen ohne ein erhebliches Maß an Glück fast unmöglich (vgl. a.a.O., S. 39, 66).
Selbst wenn also ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil eine treibende Kraft bei der Anhäufung von Reichtum sein kann — nicht zuletzt muss das „Quäntchen Glück” hinzukommen.