Pensionäre

Rentenvermögen reduzieren Vermögensungleichheit

Dass Rentenvermögen oder (exakter) Vermögen aus Anwartschaften an die Alterssicherungssysteme — wir haben sie in diesem Journal bisher Altersvorsorgevermögen genannt — die Vermögensungleichheit reduzieren, ist an sich nicht neu. Auch wir haben verschiedentlich darauf hingewiesen (siehe hier, hier und hier). Neu ist, dass diese Erkenntnis nun auch in weiten Teilen der Medien zur Kenntnis genommen wird. Der Anlass: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in seinem Wochenbericht 45/2023 im November die Ergebnisse einer aktuellen Studie veröffentlicht. Diese Studie berücksichtigt auf Basis von SOEP-Daten (SOEP = Sozio-oekonomisches Panel) bei der Vermögensbetrachtung auch das Rentenvermögen.

In der medialen Berichterstattung dazu heißt es unisono, das DIW habe bei einer Untersuchung „erstmals” die Altersvorsorgeansprüche berücksichtigt. So schreiben es die Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Der Spiegel, Die Zeit, die Wirtschaftswoche und NTV. Da bereits mehrere Studien in der Vergangenheit — auch vom DIW — untersucht haben, wie sich Ansprüche an der Alterssicherungssysteme auf die Vermögensverteilung auswirken (s. dazu unten), ist es wohl eher so, dass die Medien anlässlich des aktuellen DIW-Wochenberichts „erstmals” davon Kenntnis nehmen.

Rentenansprüche machten ein Drittel des Vermögens aller Haushalte in Deutschland aus und seien damit nach dem Immobilienvermögen der wichtigste Baustein im erweiterten Vermögensportfolio der Haushalte, schreibt das DIW in seiner Pressemitteilung zur Studie. Diese Rentenansprüche setzten sich aus der gesetzlichen und betrieblichen Altersvorsorge sowie Pensionen zusammen und seien damit nur ein vermögensähnlicher Wert. Für die ärmere Hälfte der Bevölkerung spielten diese vermögensähnlichen Ansprüche eine deutlich größere Rolle als für die reichere: Rund 70 Prozent des Vermögens der ärmeren Hälfte besteht aus diesen Rentenansprüchen. Je weiter man in der Vermögenspyramide nach oben blickt, desto geringer wird der Anteil der Rentenansprüche am erweiterten Vermögensportfolio.

„Üblicherweise werden diese Versicherungsansprüche nicht in der Vermögensverteilung berücksichtigt, da sie kein beleihbares oder veräußerbares Geld- oder Sachvermögen darstellen; für viele sind sie aber ein wichtiger Baustein ihrer Altersvorsorge”, argumentiert das DIW für die Einbeziehung der Rentenansprüche bei einer erweiterten Vermögensbetrachtung.

Einbeziehung der Rentenvermögen

Die Studienautoren merken dazu an, es werde kritisch diskutiert, ob Rentenansprüche an eine gesetzliche Rentenversicherung analog zur privaten Altersvorsorge in die Vermögensberechnung einbezogen werden sollten. So gebe es Stimmen, die einwendeten, die Einbeziehung des Rentenvermögens setze die Einbeziehung aller versprochenen künftigen staatlichen Transfers voraus (so etwa Emmanuel Saez und Gabriel Zucman). In ihrer Untersuchung „Accounting for pension wealth, the missing rich and under-coverage: A comprehensive wealth distribution for Germany”, die dem DIW-Wochenbericht zugrundeliegt, schreiben Charlotte Bartels, Timm Bönke, Rick Glaubitz, Markus M. Grabka und Carsten Schröder, auch wenn das Rentenvermögen als Ersatz für marktfähiges Vermögen dienen könne, seien seine Funktionen und seine Verwendungsfreiheit begrenzt. Rentenvermögen sei nicht übertragbar und unterscheide sich daher erheblich von marktfähigen Vermögenswerten wie Finanzanlagen oder Immobilien.

Bartels et al. betrachten die Einbeziehung des Rentenvermögens gleichwohl als ersten Schritt zu einem umfassenden Vermögenskonzept, das auch andere künftige Sozialversicherungsansprüche wie den Geldwert der Pflegeversicherung einbeziehen würde. Künftige Rentenansprüche stellten jedoch die unmittelbarste Ergänzung zum Standardvermögen dar, da sie nach Erreichen des Rentenalters fließen würden; damit seien sie ein Pendant zu der im Nettovermögen enthaltenen privaten Altersvorsorge.

Auch die bessere Vergleichbarkeit spielt für Bartels et al. eine Rolle: Die Hinzufügung des Nettogegenwartswertes des Rentenvermögens zum marktfähigen Vermögen, um das „erweiterte Vermögen” zu berechnen, sei ein wichtiger Schritt, um die Vermögensverteilung zwischen Gruppen mit unterschiedlichem Rentenversicherungsschutz — gesetzlich Abgesicherte (Angestellte oder Beamte) und diejenigen ohne Versicherungspflicht (Selbständige) — vergleichbarer zu machen. Auch ließen sich Vermögensunterschiede zwischen Ländern mit unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen hinsichtlich der Altersvorsorgesysteme besser erklären.

Rentenvermögen macht Großteil der Vermögen der unteren Hälfte aus

Das DIW hat in seiner aktuellen Studie die Vermögensverteilung anhand der Vermögensportfolios für vier Gruppen untersucht, die sich als Standard etabliert haben: die unteren 50 Prozent, die Mittelschicht (von der Mitte der Vermögensverteilung bis zu den oberen 90 Prozent, 50. bis 90. Perzentil), die Oberschicht (die obersten zehn Prozent ohne das oberste Prozent, 90. bis 99. Perzentil) und die Top-Vermögenden (das oberste Prozent).

Rentenvermögen dominanter Faktor bei unteren 50 Prozent

In der unteren Hälfte der Vermögensverteilung macht der Rentenvermögen 70 Prozent des erweiterten Vermögens aus. Auch für die Mittelschicht spielt das Rentenvermögen mit rund 45 Prozent die wichtigste Rolle, allerdings rangieren bereits hier Immobilien auf Rang zwei. Das Immobilienvermögen spielt für die Oberschicht gar die wichtigste Rolle im Vermögensportfolio, während Finanz- und Rentenvermögen mit 26, 27 Prozent in etwa gleichauf liegen. Für das oberste Prozent spielen Rentenvermögen mit kaum drei Prozent keine große Rolle mehr. Mit deutlichem Abstand vor allen anderen Vermögensgruppen sind Betriebsvermögen die dominierende Vermögenskomponente. Immobilien und Finanzvermögen folgen auf den Plätzen zwei und drei.

Rentenvermögen verändern die Vermögensverteilung

Werden die Rentenansprüche bei der Vermögensbetrachtung berücksichtigt, sinkt die Vermögensungleichheit. In der DIW-Studie heißt es dazu: „Das Hinzufügen des Rentenvermögens erhöht den Anteil des Vermögens am Gesamtvermögen in der unteren Hälfte der Verteilung erheblich. Da das Rentenvermögen den dominanten Teil im Vermögensportfolio der ärmeren 50 Prozent der Haushalte darstellt, steigt ihr Vermögensanteil im Jahr 2017 von zwei Prozent, wenn nur das Nettovermögen berücksichtigt wird, auf neun Prozent, wenn auch ihr Rentenvermögen einbezogen wird. Im Gegensatz dazu sinkt der Vermögensanteil der Top-Vermögenden von 30 auf 20 Prozent, wenn das Rentenvermögen berücksichtigt wird. (…) Damit senkt die Einbeziehung des Rentenvermögens auch die gemessene Vermögensungleichheit.”

Die Anteile der Bevölkerung am Gesamtvermögen ohne und mit Rentenvermögen zeigt die folgende Abbildung:

Vermögensverteilung ohne und mit Rentenvermögen

Dass sich die Vermögensungleichheit reduziert, wenn Rentenansprüche in das Haushaltsvermögen eingerechnet werden, ist schon länger bekannt. Nur wird in der Regel nicht darauf hingewiesen. Dabei liegt der Gedanke nicht fern, dass es für manche durchaus inopportun wäre, darauf hinweisen zu müssen, dass die Vermögensungleichheit eben nicht so hoch ist wie gewöhnlich dargestellt. Ausdrücklich soll damit die vorhandene Vermögensungleichheit nicht relativiert oder kleingeredet werden. Wenn wir aber über Vermögensungleichheit reden, müssen wir uns zunächst einen realistischen Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse verschaffen. Politische Interessen, die Vermögensungleichheit möglichst hoch aussehen zu lassen, um weitere Umverteilungsmaßnahmen zu fordern, sind hier fehl am Platz.

Im folgenden fassen wir die bislang vorliegenden Erkenntnisse dazu zusammen, wie sich die Berücksichtigung der Rentenvermögen auf die Vermögensverteilung auswirkt.

Frick/Grabka 2010

Im DIW-Wochenbericht 3/2010 „Alterssicherungsvermögen dämpft Ungleichheit — aber große Vermögenskonzentration bleibt bestehen” schreiben Joachim Frick und Markus Grabka, die erweiterte Messung des Gesamtvermögens unter Einbeziehung der Anwartschaften an Alterssicherungssysteme zeige „eine deutlich geringere Vermögensungleichheit als herkömmliche Analysen, die sich allein auf Geld- und Sachvermögen beziehen”. Durch die Berücksichtigung der Altersversorgungsansprüche sinke der Gini-Koeffizient auf 0,64, was einem Rückgang um gut 20 Prozent entspreche. Die Autoren konstatieren eine „massive Dämpfung der Ungleichheit durch Alterssicherungsvermögen”.

2013 haben Frick und Grabka ihre Erkenntnisse in dem Beitrag „Public pension entitlements and the distribution of wealth” für die von J. Gornick und M. Jäntti herausgegebene Publikation „Income Inequality: Economic Disparities and the Middle Class in Affluent Countries” (Stanford University Press) erneut ausgebreitet.

Bönke et al. 2016 (2019)

Timm Bönke et al. haben 2016 (spätere Veröffentlichung 2019) die wohl erste Analyse für Deutschland vorgelegt, die das Rentenvermögen in einer Analyse der Vermögensungleichheiten für die gesamte deutsche Bevölkerung im Ruhestand und im Nicht-Ruhestand berücksichtigt (The joint distribution of net worth and pension wealth in Germany, SOEPpapers 853-2016). Zur Vermögensverteilung kommen die Autoren zu folgendem Ergebnis: „Consistent with previous studies for Germany, the distribution of net worth is very unequal. Here the Gini coefficient is 0.785. The inclusion of pension wealth leads to a marked reduction of the Gini coefficient of roughly 25% to 0.594 for augmented wealth.”

Bönke et al. 2017 (2020)

Anfang 2017 (spätere Veröffentlichung 2020) legten Timm Bönke et al. eine Folgeuntersuchung vor (A Head-to-Head Comparison of Augmented Wealth in Germany and the United States, SOEPpapers 899-2017), die Zahlen zum Vermögen nicht (wie 2016/2019) auf individueller Ebene, sondern auf Haushaltsebene bereitstellt. Dort heißt es: „The addition of pension wealth also reduces measured wealth inequalities: In the United States, the Gini coefficient drops from 0.892 for net worth to 0.701 for augmented wealth; in Germany from 0.765 to 0.511.” Das entspricht einem Rückgang um gut 33 Prozent.

Peichl et al. 2018

Andreas Peichl et al., ifo Zentrum für Makroökonomik und Befragungen, schreiben in ihrer 2018 vorgelegten Untersuchung „Ökonomische Ungleichheit in Deutschland – ein Überblick”, es zeige sich, „dass durch die Berücksichtigung von Rentenansprüchen die Ungleichheit der Nettovermögen (Gini von 0,73) spürbar sinkt (auf 0,53)”. Die Berücksichtigung der Rentenansprüche führe „zu einer erheblichen Reduktion der gemessenen Vermögensungleichheit in Deutschland“, so das Fazit.

vbw 2021

Die Studie der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. „Gerechtes Deutschland – Die Rolle der Vermögen“, die im Auftrag der vbw vom Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, erstellt wurde, kommt 2021 zu dem Ergebnis: In Deutschland sinkt der Gini-Koeffizient durch die Erweiterung um die Vermögensäquivalente aus der Altersvorsorge im Jahr 2017 um 22 Prozent von knapp 0,8 auf rund 0,6. Die Vermögensungleichheit in Deutschland werde durch Anwartschaften aus gesetzlichen, privaten und betrieblichen Altersvorsorgesystemen somit um 22 Prozent reduziert.

DIW-Wochenbericht 50/2021

Im DIW-Wochenbericht 50/2021 beschäftigt sich Stefan Bach mit der Frage, inwiefern ein Grunderbe und Vermögensteuern die Vermögensungleichheit verringern können. Sein einleitender Satz „Die Nettovermögen der privaten Haushalte sind in Deutschland besonders ungleich verteilt” ist mit folgender Fußnote versehen:

„Die Nettovermögen in konventioneller Abgrenzung bestehen aus Immobilien, Finanzvermögen und Versicherungsguthaben, Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen, abzüglich Schulden. Dabei werden bestimmte Vermögenskomponenten ausgeschlossen, insbesondere das ‚Sozialvermögen’ in Form von Ansprüchen an die sozialen Sicherungssysteme, also vor allem die quantitativ bedeutsamen Anwartschaften an die Alterssicherungssysteme der Gesetzlichen Rentenversicherung, der Beamtenversorgung oder der betrieblichen Altersversorgung. Berücksichtigt man diese Vermögen durch Kapitalisierung der Versorgungsansprüche, reduziert sich die Vermögensungleichheit in Deutschland massiv – der Gini-Koeffizient sinkt um 24 Prozent.”

Seit mehr als zehn Jahren gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass die Rentenvermögen die Vermögensverteilung deutlich verändern: „massive Dämpfung der Ungleichheit”, „marked reduction of the Gini coefficient”, „erhebliche Reduktion der gemessenen Vermögensungleichheit”, „reduziert sich die Vermögensungleichheit in Deutschland massiv”. Es wäre wünschenswert, wenn sich diese Erkenntnisse auf breiter Front durchsetzten und bei der Beschreibung der Vermögensverteilung und Vermögensungleichheit in Deutschland die Rentenvermögen grundsätzlich berücksichtigt würden.

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