Pensionär betrachtet Segelboot

Rentenansprüche reduzieren Vermögensungleichheit um über 20 Prozent

Die Vermögensungleichheit in Deutschland wird durch Anwartschaften aus gesetzlichen, privaten und betrieblichen Altersvorsorgesystemen um 22 Prozent reduziert. Das ist eines der Ergebnisse der Studie der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. „Gerechtes Deutschland – Die Rolle der Vermögen“, die im Auftrag der vbw vom Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, erstellt wurde (zur Bedeutung der Altersvorsorgeanwartschaften siehe auch hier und hier).

Die Verteilung der Nettovermögen falle erheblich gleichmäßiger aus, wenn die konventionelle Vermögensperspektive um die Ansprüche gegenüber den drei Säulen der Alterssicherung erweitert werde, schreiben die Studienautoren. Würden entsprechende Vermögensäquivalente bei der Vermögensverteilung berücksichtigt, verdoppelte sich das individuelle Nettovermögen im Durchschnitt der Bevölkerung (s. folgende Grafik).

Durchschnittliche und mittlere Nettovermögen mit und ohne Altersvorsorgevermögen

Gerade Personen mit konventionell geringen oder gar negativen Nettovermögen im unteren Bereich der Verteilung, wozu oft auch Jüngere gehörten, verfügten meist über Anwartschaften gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung. In konventionellen Vermögensstatistiken würden diese jedoch nicht berücksichtigt, da sie nur eingeschränkt liquidierbar und übertragbar seien. Dies führe jedoch zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Wohlstandsposition vieler Menschen und zu einer Überzeichnung der (relativen) Vermögensungleichheit. Auch Ländervergleiche würden dadurch erschwert und teilweise verzerrt, da der Umfang privater und staatlicher Vermögensbildung zur Alterssicherung je nach Sozialstaatsmodell stark variiere.

In Deutschland sinke der Gini-Koeffizient durch die Erweiterung um die Vermögensäquivalente aus der Altersvorsorge im Jahr 2017 um 22 Prozent von knapp 0,8 auf rund 0,6 (s. folgende Grafik).

Verteilung der Nettovermögen mit und ohne Vermögensäquivalente aus Altersvermögen

Daraus ergebe sich ein differenzierteres Bild der Verteilung von Wohlstandschancen, das den ursprünglichen Eindruck relativiere, der sich aus der Betrachtung konventionell erfasster Vermögen ergebe. Damit werde eine Gerechtigkeitsdebatte nicht obsolet. Aber die politikrelevanten Implikationen, die sich aus der Erweiterung um Vermögensäquivalente aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Vorsorge ergäben, sollten politische Akteure mit in den Blick nehmen, um unkontrollierbare und unerwünschte Effekte auf die Verteilung des Wohlstands zu vermeiden. Die Erweiterung könne helfen, ein oftmals skandalisierendes mediales Bild zu versachlichen und langfristige Anreizeffekte möglicher Politikmaßnahmen besser abschätzen zu können.

Hohe Sozialschutzausgaben korrelieren mit höherer Vermögensungleichheit

„Vermögen sind ungleicher verteilt als Einkommen. Dieser Sachverhalt ist unumstritten und gilt sowohl in Deutschland als auch in anderen Industrieländern, sodass Deutschland hierbei keine Sonderrolle einnimmt“, heißt es in der Studie. Gemessen am Gini-Koeffizienten weise Deutschland gleichwohl eine verhältnismäßig höhere Ungleichheit der Nettovermögen auf als andere Industrieländer. Hieraus ergebe sich jedoch nicht zwangsläufig ein Gerechtigkeitsdefizit, da der Grad der Vermögensungleichheit unter anderem mit dem Umfang sozialstaatlicher Sicherungssysteme zusammenhänge: So seien die individuellen Nettovermögen in Deutschland mit einem Gini-Koeffizienten von rund 0,8 ähnlich ungleich verteilt wie in Schweden oder Dänemark (s. folgende Grafik), die sich ebenfalls durch umfangreiche sozialstaatliche und umverteilende Sicherungssysteme auszeichneten und als Vorbilder egalitärer und gerechter Gesellschaften gälten.

Nettovermögensungleichheit im internationalen Vergleich

Auch der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) bringt auf seiner Webseite eine interessante Grafik, die zeigt, dass viele Staaten, die einen hohen Anteil des Bruttoinlandsprodukts für soziale Zwecke ausgeben, bei der Vermögensverteilung einen hohen Gini-Koeffizienten aufweisen.

Europa: Hohe Sozialausgaben, höhere Vermögensungleichheit

Dieses Bild bleibe auch dann bestehen, so die vbw-Studie, wenn vorhandene Defizite in den Vermögensdaten aus Haushaltsbefragungen korrigiert werden, beispielsweise durch die Hinzuschätzung fehlender Vermögenswerte an der Spitze der Verteilung.

Bereits in der Vergangenheit sei in Studien wiederholt darauf hingewiesen worden, dass Industrieländer, die sich durch ähnlich hohe Sozialschutzausgaben bei vergleichbar hohem Lebensstandard wie Deutschland auszeichneten, auch eine ähnlich ausgeprägte Ungleichverteilung der Vermögen aufwiesen (Beznoska et al., 2017; 2018). In der folgenden Abbildung werde dieser positive Zusammenhang für eine Reihe ausgewählter Industrieländer grafisch dargestellt, indem die Sozialschutzausgaben in Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus dem Jahr 2018 dem Gini-Koeffizienten der Nettovermögensverteilung aus dem Jahr 2019 gegenübergestellt würden.

Zusammenhang zwischen Nettovermögensungleichheit und Umfang des Sozialstaats

Neben Deutschland wiesen Länder mit umfangreichen sozialstaatlichen Sicherungssystemen wie die Niederlande, Dänemark, Schweden oder Norwegen einen ähnlich hohen Grad der Nettovermögensverteilung auf. Theoretische Überlegungen legten nahe, dass in diesen Staaten der Anreiz geringer sei, privates Vermögen aufzubauen. Denn je umfassender das Leistungsversprechen obligatorischer Sicherungssysteme ausfalle, desto weniger notwendig werde der Vermögensaufbau aus Vorsorgemotiven. Gleichzeitig reduzierten die für die Finanzierung erforderlichen Abgaben den Spielraum für Vermögensaufbau – insbesondere in steuer- oder umlagefinanzierten Sicherungssystemen und gerade bei jenen Bürgern mit geringeren Einkommen.

„Wenn der Umfang sozialstaatlicher Sicherung sowohl den Anreiz zur Bildung von (Vorsorge-)Vermögen reduziert als auch die Finanzierung eines umfassenden Sozialstaates die Möglichkeiten zum individuellen Vermögensaufbau aufgrund der damit verbundenen höheren Steuer- und Abgabenlast einschränkt, dann gibt die konventionell gemessene Vermögensverteilung ein unvollständiges Bild über die Verteilung des Wohlstands wieder“, heißt es im Fazit der Studie. Denn materieller Wohlstand (insbesondere im Alter) speise sich aus zwei Quellen – Einkommen und Vermögen. Für eine politikrelevante Bewertung könne deshalb eine Erweiterung um Vermögensäquivalente, die sich als Barwerte der erworbenen Anwartschaften und Bezüge aus umlagefinanzierten und kapitalgedeckten Sicherungssystemen errechneten, ein differenzierteres Bild von der Verteilung des Wohlstands zeichnen.

3 Kommentare zu „Rentenansprüche reduzieren Vermögensungleichheit um über 20 Prozent“

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