Vermögensungleichheit

Schiefe Darstellung der Vermögensverteilung in Deutschland hat Methode

Es steht außer Frage: Vermögen sind in Deutschland ungleich verteilt, jedenfalls deutlich ungleicher als die Einkommen. Die Vermögensverteilung ist in Deutschland aber nicht so ungleich, wie es regelmäßig dargestellt wird. Wir haben das schon in zwei Beiträgen beleuchtet (nämlich hier und hier), möchten gleichwohl aber noch einmal darauf zurückkommen.

Bei einer Recherche zu neuen Veröffentlichungen in Sachen „Vermögen“ stießen wir auf der Webseite des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans Böckler Stiftung auf folgende Darstellung der Vermögensverteilung.

Die Antwort auf die Frage, wie ungleich Vermögen in Deutschland verteilt seien, hänge stark davon ab, welche Daten herangezogen würden, heißt es beim WSI. „Auf Basis des SOEP lag der Gini-Koeffizient bei 0,78 im Jahr 2019 (Schröder et al. 2020). Allerdings weisen eine Vielzahl von Studien (z.B. Vermeulen 2018, Bach et al. 2019) darauf hin, dass Befragungsdaten die Vermögensungleichheit unterschätzen, da (Super-)Reiche in den Daten unterrepräsentiert sind. Unter Einbeziehung einer gesonderten Reichenstichprobe steigt der Gini-Koeffizient im SOEP auf 0,81 an; werden zusätzlich die Vermögensinformationen aus dem Managermagazin herangezogen, liegt der Gini-Koeffizient sogar bei 0,83.“

Vermögensverteilung: Anteil des Nettovermögens der reichsten 10 %, 1 % und 0,1 % am Gesamtvermögen

Diese starke Konzentration der Vermögen zeige sich auch bei der Verteilung, insbesondere bei der Betrachtung der Vermögensanteile, die auf die reichsten 10 Prozent, 1 Prozent bzw. 0,1 Prozent entfielen (siehe Abbildung). Demnach besäßen die Top 10 Prozent je nach Datengrundlage zwischen 59 und 67 Prozent des Gesamtvermögens, die Top 1 Prozent zwischen 22 und 35 Prozent des Gesamtvermögens und die reichsten 0,1 Prozent sogar zwischen sieben und 20 Prozent (Schröder et al. 2020). Im Vergleich dazu besitze die untere Hälfte der Vermögensverteilung lediglich 2,5 Prozent des Gesamtvermögens (Bach et al. 2019), so das WSI.

Vermögensverteilung: Hinzugerechnet wird nur, was „nützt“

Was diese Darstellung verschweigt, das sind die Altersvorsorgevermögen. Es liegen mehrere Studien dazu vor, wie sich die Vermögensäquivalente aus den Ansprüchen an die Altersvorsorgesysteme auf die Vermögensverteilung auswirken (Bönke et al. 2016, Bönke et al. 2017, Peichl et al. 2019, vbw/IfO 2021). Sie alle kommen zu dem gleichen Ergebnis: Die Berücksichtigung der Altersvorsorgevermögen reduziert die Vermögensungleichheit deutlich. Je nach Studie sinkt der Gini-Koeffizient für die Vermögensverteilung um 22 bis 33 Prozent.

Konnte das WSI dies bei Veröffentlichung der oben zitierten Erkenntnisse zu Vermögensverteilung wissen? Sicher, die Autoren hätten das wissen können. Mindestens die beiden Studien von Bönke et al. (2016, 2017) und die Studie von Peichl et al. (2019) sind vor den vom WSI als Quellen herangezogenen Studien (s. oben) erschienen. Erkennbar geben sich die Darstellungen beim WSI wie auch die dort verwendeten Quellen alle Mühe, durch Hinzurechnung von Vermögen aus einer Zusatzstichprobe für hohe Vermögen und aus sog. „Reichenlisten“ (in diesem Fall Manager Magazin) eine immer höhere Vermögensungleichheit darzustellen.

Diese Hinzurechnung kann man ja machen – nur müsste man dann eben auch die Altersvorsorgevermögen mitberücksichtigen. Das unterbleibt. Der Grund ist offensichtlich: In die Berechnungen einbezogen wird, was der eigenen politischen Agenda nützt. Was ihr schadet, wird nicht erwähnt.

P.S.: Übrigens: Der auch vom WSI als Quelle angegebene Stefan Bach, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Staat am DIW Berlin, stellte in einer im Dezember 2021 veröffentlichten Untersuchung fest, die Nettovermögen der privaten Haushalte seien in Deutschland „besonders ungleich verteilt“ (Hervorhebung N.H.). In einer Fußnote zu dieser Aussage heißt es aber dann: Berücksichtige man die „Sozialvermögen“ in Form von Ansprüchen an die sozialen Sicherungssysteme – also vor allem die „quantitativ bedeutsamen Anwartschaften an die Alterssicherungssysteme der Gesetzlichen Rentenversicherung, der Beamtenversorgung oder der betrieblichen Altersversorgung“ – durch Kapitalisierung der Versorgungsansprüche, reduziere „sich die Vermögensungleichheit in Deutschland massiv – der Gini-Koeffizient sinkt um 24 Prozent“. (Hervorhebung N.H.)

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