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Verantwortungseigentum – ein Überblick (Teil 2)

Nachdem wir uns im ersten Teil der Artikelserie zum Verantwortungseigentum damit beschäftigt haben, was unter Verantwortungseigentum zu verstehen ist, wer seine Befürworter sind und mit welchen Argumenten sie für eine Ergänzung des GmbH-Gesetzes um eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung und gebundenem Vermögen eintreten, kommen in diesem zweiten Teil die Kritiker des Konstrukts zu Wort.

3. Wer sind die Kritiker des Verantwortungseigentums, und was sind ihre Argumente?

3.1 „Zauberwort ‚Verantwortungseigentum’”

Zwischen der Veröffentlichung des ersten Gesetzentwurfs im Juni 2020 und dem Aufruf für eine neue Rechtsform am 6. Oktober 2020 erschien Anfang September in der F.A.Z. der Beitrag „Zauberwort ‚Verantwortungseigentum’” (€) von Rainer Hüttemann (Universität Bonn), Peter Rawert (Notar; Universität Kiel) und Birgit Weitemeyer (Bucerius Law School). Die Autoren beschreiben zunächst, worum es der Stiftung Verantwortungseigentum geht und die beiden Leitgedanken des Gesetzentwurfs für eine (zu diesem Zeitpunkt noch so genannte) „GmbH in Verantwortungseigentum”: die Vermögensbindung (Asset-Lock) und die Selbstbestimmung/Selbständigkeit (s. Teil 1, Abschnitt 1.).

Die „Nachhaltigkeitsrhetorik”, Unternehmen in Verantwortungseigentum seien der einzige Unternehmenstypus, „‚der den Erhalt der Selbstständigkeit als rechtlich verbindlichen Wert ins Zentrum der Unternehmensverfassung stellt’”, täusche, so der Beitrag im folgenden, über drei Punkte hinweg: Erstens würden die Vorschläge ihrem Ideal, eine gegenüber persönlichen Interessen resistente Rechtsform zu schaffen, handwerklich nicht gerecht. Zweitens führten sie zu systemwidrigen Veränderungen im Zusammenspiel von Gesellschafts-, Stiftungs- sowie Erb- und Erbschaftsteuerrecht. Und drittens stießen sie auf ordnungspolitische Bedenken, weil sie zu einer marktwirtschaftsfremden, dauerhaften Trennung von Verfügungsbefugnis und wirtschaftlicher Berechtigung führten und damit den Anreiz unterdrückten, von den Früchten eigener Arbeit zu profitieren.

Der Gesetzentwurf verbiete nur die Ausschüttung von Gesellschaftsvermögen an die Verantwortungseigentümer. Des weiteren seien diese in ihrer Disposition über den Gesellschaftszweck und den Unternehmensgegenstand – anders als bei einer Stiftung – vollkommen frei. Damit reduziere sich die neue Rechtsform im Kern auf den dauerhaften „Asset-Lock”, einer Veräußerung von Gesellschaftsanteilen und der Verwendung des Veräußerungserlöses für dem Unternehmensgründer fernliegende Unternehmensgegenstände stünde praktisch nichts im Wege.

Das System des deutschen Gesellschafts-, Erb- und Stiftungsrechts würde durch die Vorschläge für eine neue Rechtsform in mindestens zwei Punkten fundamental und zum Schlechteren verändern:

„Zum ersten würde es die Rechtsform der VE-GmbH ihren Gründern ermöglichen, Vermögen über den eigenen Tod hinaus und über alle Generationen hinweg in einer potentiell unsterblichen juristischen Person zu binden”, so Hüttemann et al. Eine solche „Herrschaft der toten Hand”, die an das Rechtsinstitut des mittelalterlichen Fideikommiss erinnere, widerspreche aber der bei Verbänden (worunter in der Regel auch Unternehmensträger fielen) jahrhundertealten Tradition, nach der deren Mitglieder jederzeit zumindest einstimmig die Grundlagen ihres Zusammenschlusses verändern und somit auch dessen Auflösung beschließen könnten.

Zum zweiten kritisieren die Autoren die Governance der GmbH in Verantwortungseigentum, also ihre Kontrolle. Die Befürworter des Gesetzentwurfs seien nicht bereit, das Gewinnausschüttungsverbot einer Rechtsaufsicht durch staatliche Stellen zu unterwerfen. Trotz der „bewussten Imitation der Stiftung” sei eine bei Unternehmensstiftungen übliche ernst zu nehmende staatliche Aufsicht nicht vorgesehen. Vielmehr setze der Entwurf auf eine „‚Selbstkontrolle’”, nach der die Gesellschafter einer GmbH in Verantwortungseigentum „angemessene Vorkehrungen dafür zu treffen haben, dass die Vermögensbindung eingehalten“ werde und verbotene Ausschüttungen zurückgefordert würden.

Auch die steuerliche Behandlung der neuen Rechtsform sehen Hüttemann/Rawert/Weitemeyer kritisch. Zwar sehe sie keine neuen steuerlichen Begünstigungen vor, profitiere aber von der niedrigen Besteuerung thesaurierter Gewinne, die bei einer normalen Kapitalgesellschaft durch die Nachbelastung ausgeschütteter Gewinne auf der Ebene der Gesellschafter ausgeglichen werde. Mehr noch: Die in einer VE-GmbH erwirtschafteten und dort auf Dauer gebundenen Gewinne würden der Erbschaft- und Schenkungsteuer entzogen.

Im folgenden betonen die Autoren das Verbot der „Selbstzweckstiftung”: Das deutsche Recht erlaube bewusst keine Stiftungen oder ihnen äquivalente Konstrukte, deren Zweck sich in der Perpetuierung von Vermögen erschöpfe, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um Unternehmensvermögen handele. „Das bloße Thesaurieren von Vermögen hat nichts mit freiem Unternehmertum zu tun”, stellen Hüttemann et al. fest.

In ihrer abschließenden Betrachtung beschreiben sie die GmbH in Verantwortungseigentum als eine Art Neuauflage des aus sozialistischen Gesellschaften bekannten „Volkseigenen Betriebs”. Die Vorschläge der Stiftung Verantwortungseigentum schalteten grundlegende und für eine marktwirtschaftliche Ordnung existentielle Anreizmechanismen aus. Eine verantwortungsvolle Unternehmensführung werde in freien Wirtschaftssystemen durch einen Gleichlauf der Interessen von Unternehmen und Unternehmenseigentümern gewährleistet. In der Gründergeneration einer Gesellschaft in Verantwortungseigentum könne dieser Gleichlauf noch vorhanden sein, bei künftigen Generationen, die vom wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg nicht tangiert würden, sei es aber fraglich, ob die idealistische Motivation (der Gründer) den „mangelnden kapitalistischen Antrieb” ersetzen könne.

Die Hoffnung auf eine „‚Wertefamilie’”, die das für sich genommen wertlose „‚Erbe’” eines Verantwortungsunternehmers gleichsam anspruchslos über Generationen hinweg pflege, sei eine Utopie. Angesichts der verbreiteten Zustimmung von Politikern und Wirtschaftsvertretern zu einer neuen Rechtsform werde die ordnungspolitische Grundfrage nach der wirtschaftlichen Vernunft einer dauerhaften Trennung von Verfügungsbefugnis und wirtschaftlicher Berechtigung offenbar nicht gestellt. „Die in einer Marktwirtschaft notwendige Anpassungsfähigkeit von Unternehmen lässt sich nach wie vor am besten durch klassische Eigentumsrechte erreichen, bei denen Leitungsmacht und vermögensmäßige Berechtigung in der Hand eigeninteressierter Gesellschafter vereint sind”, heißt es denn auch abschließend.

Die Co-Autorin des F.A.Z.-Artikels, Birgit Weitemeyer, hat Anfang Oktober 2020 in einem Gastbeitrag für „Legal Tribune Online” die wesentlichen Argumente der Kritiker des Verantwortungseigentums (u.a. „Herrschaft der toten Hand”, massives Kontrolldefizit) noch einmal dargelegt.

3.2 „Komplexe Doppelstiftungskonstruktionen”

In einem gemeinsam mit Arnd Arnold (Universität Trier), Ulrich Burgard (Universität Madgeburg) und Gregor Roth (Universität Leipzig) verfassten Beitrag für den „ifo Schnelldienst” vom 11. November 2020 beschäftigen sich Weitemeyer und ihre Co-Autoren zudem mit dem von den Befürwortern des Verantwortungseigentums vorgebrachten Argument, es bedürfe für die Absicherung ihrer Ziele – Resilienz durch Gewinnthesaurierung (Fratzscher), Lösung für das „Buddenbrook-Syndrom” (Hüther), „Vertrauenssignal” an Kunden und Mitarbeiter, leichtere Weitergabe an familienfremde Dritte durch „Treuhandgesellschafter”, Verhinderung bloßen Gewinnstrebens, Schutz vor Übernahmen durch „Fremdeigentümer”, keine „Personalisierung” eines Verkaufserlöses – komplizierter und kostenintensiver Doppelstiftungskonstruktionen, die sich weder für KMU noch für Start-ups eigneten, obwohl deren Interesse am Verantwortungseigentum groß sei.

Komplexer Doppelstiftungskonstruktionen (bestehend aus einer gemeinnützigen Stiftung, die den größten Teil des Kapitals einer Kapitalgesellschaft halte, und einer Familienstiftung, die den größten Teil der Stimmrechte besitze) bedürfe es nur, so Arnold et al., wenn der Stifter nicht nur einen Asset-Lock einführen, sondern gleichzeitig auch seine Familie finanziell versorgen, ihren Einfluss auf das Unternehmen absichern und dabei möglichst wenig Erbschaftsteuer bezahlen wolle. Für eine finanzielle Versorgung der Familie sei die GmbH in Verantwortungseigentum nach derzeitigem Stand aber nur geeignet, wenn dies etwa in Form einer atypischen stillen Beteiligung oder einer Betriebsaufspaltung geschehe. Solche Konstruktionen seien ebenfalls komplex und beratungsintensiv. Außerdem widersprächen sie dem Anliegen der neuen Rechtsform, gerade nicht die Familie zu bevorzugen.

Im Übrigen müsse die Stiftungslösung keinesfalls unflexibel sein. Regelmäßig sei die Stiftung (Allein-)Gesellschafterin einer unternehmenstragenden Kapitalgesellschaft (meist GmbH). Deren Flexibilität sei grundsätzlich normtypisch, also keinesfalls geringer als die einer GmbH in Verantwortungseigentum. Eine geringere Flexibilität entstehe erst durch Satzungsklauseln, mit denen Gründerväter ihre Vorstellungen perpetuieren wollten. Das Problem liege also nicht in der Rechtsform, sondern in dem Perpetuierungswillen der Gründer.

3.3. Studie der Stiftung Familienunternehmen und F.A.Z.-Beitrag dazu

Im April 2021 erschien die von der Stiftung Familienunternehmen in Auftrag gegebene Studie „Stiftungsunternehmen in Deutschland – Gesetzliche Grundlagen, unternehmerische Motive, Reformvorschläge”, erstellt von Mathias Habersack, Ordinarius für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Auf Grundlage des geltenden Stiftungsrechts widmet sich die Studie der zentralen Frage, ob sich die Stiftung als Rechtsträgerin für die dauerhafte Fortführung eines Familienunternehmens eignet. Eine Frage, die die Studie ausdrücklich bejaht.

Bereits vor der Veröffentlichung der Studie hat Habersack, gemeinsam mit Péter Horváth (Universität Stuttgart em., Horváth & Partners) und Rainer Kirchdörfer (u.a. Vorstand Stiftung Familienunternehmen), in einem Beitrag für die F.A.Z. im März 2021 (€) die Kritik der Befürworter einer GmbH in Verantwortungseigentum zurückgewiesen, wonach es für kleinere, insbesondere junge Unternehmen und Start-ups keine einfache und passende Rechtsform gebe, wenn ein Unternehmer sein Unternehmen unabhängig von der Familie in eine generationenübergreifende Selbständigkeit führen wolle. Die Stiftung in ihrer gemeinnützigen Form sei keineswegs ungeeignet, weil Stiftungsmodelle sich als zu aufwendig, bürokratisch und unflexibel erwiesen hätten. Vielmehr sei das Stiftungsrecht schon jetzt flexibel und biete Lösungen auch für kleine und mittlere Unternehmen sowie Start-ups.

In die heutige Gesellschafts- und Stiftungslandschaft füge sich die (inzwischen so benannte) GmbH mit gebundenem Vermögen nicht ein. Ihr fehle es an einem die Geschäftsführung disziplinierenden Anreizmechanismus in der Person der Gesellschafter. Sie raube den Gesellschaftern das Selbstbestimmungsrecht und drohe aus der GmbH eine körperschaftlich verfasste Stiftung zu machen. Auf die berechtigten Belange der Gläubiger nehme sie keine Rücksicht. Stiftungsrechtler betonten bei ihrer Kritik vor allem zwei Aspekte: die Ermöglichung einer „Herrschaft der toten Hand” und die Schaffung einer „Selbstzweckorganisation” (s. oben 3.1).

Gründer, denen am Erhalt und der nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens über Generationen hinweg liege, die das Unternehmen aber nicht der nachfolgenden Generation anvertrauen möchten, sollten deswegen auf Stiftungslösungen zurückgreifen, empfehlen Habersack et al. (vgl. dazu die Ausführungen in der Studie, S. 17). Die dominierenden Überlegungen im Zusammenhang mit Stiftungslösungen seien auf die langfristige Entwicklung des Unternehmens ausgerichtet: Erhalt des Unternehmens in einer Hand, Steigerung der Widerstandsfähigkeit des Unternehmens gegenüber Entwicklungen in nachfolgenden Generationen, langfristiger Erhalt der Arbeitsplätze, Schutz der Kapitalbasis vor Erb- und Abfindungsansprüchen (s. folgende Abbildung).

Motive aus der Sicht von Familienunternehmen, die sich in Stiftungseigentum befinden oder dies planen
Motive aus der Sicht von Familienunternehmen, die sich in Stiftungseigentum befinden oder dies planen

Die Studie zeige eine sehr große Vielfalt in der Ausgestaltung von Stiftungen und damit eine enorme Flexibilität für Unternehmen aller Größenklassen auf. Die Stiftungslösung könne unter Berücksichtigung der individuellen Strukturen und Ressourcen gestaltet werden. So biete sich beispielsweise neben der Umsetzung als Familienstiftung oder als gemeinnützige Stiftung auch die Möglichkeit einer Doppelstiftung. Auch bei der Entwicklung der einmal gegründeten Stiftung erweise sich das Stiftungsrecht als flexibel. So könne der Stifter Ermächtigungen zu Satzungsänderungen erteilen, auf die Verwaltung des eingebrachten Kapitals einwirken und regeln, wie Rechte aus den von der Stiftung gehaltenen Anteilen am Beteiligungsunternehmen auszuüben seien.

Habersack/Horváth/Kirchdörfer gelangen zu folgendem Fazit: „Das Stiftungsrecht bietet Familienunternehmen wie Start-ups enorme Möglichkeiten, dem im Grundsatz berechtigten Anliegen der Initiative Verantwortungseigentum Rechnung zu tragen. Es fügt sich in das deutsche Zivilrecht ein. Nicht zuletzt aus gesellschaftlicher Perspektive sind Stiftungslösungen somit als wünschenswerte Organisationsform für Unternehmen einzustufen. Mit einer Reform könnte diese solide Stiftungslandschaft gestärkt und ausgeweitet werden. Die Schaffung einer unbeaufsichtigten Quasi-Stiftung im körperschaftlichen Gewande erübrigte sich.”

3.4 Positionspapier BDI und Bundesverband Deutscher Stiftungen

Der BDI und der Bundesverband Deutscher Stiftungen haben am 6. September 2022 das gemeinsame Positionspapier „Verantwortungseigentum weiter denken” veröffentlicht. Aus Sicht der beiden Verbände „ist die Rechtsform (GmbH mit gebundenem Vermögen; N.H.) weder geeignet noch erforderlich für die Zielsetzung eines nachhaltigen und verantwortungsvollen Unternehmertums”.

Kritisch sehen die Verbände folgende Punkte:

  • Die Vermögensbindung innerhalb eines engen Kreises (Käufer und Nachfolger einer GmbH-gebV wären auf natürliche Personen, andere GmbHs mit Vermögensbindungen oder Stiftungen beschränkt) stelle einen Eingriff in die Prinzipien der Privatautonomie und Verbandsfreiheit dar.
  • Zwar sollten bei der neuen Rechtsform Gewinne und das Vermögen im Unternehmen verbleiben, allerdings seien die Missbrauchsmöglichkeiten, z. B. über Gesellschafterdarlehen, Mietpachtverhältnisse oder Lizenzvereinbarungen, groß.
  • Mit der neuen Rechtsform werde suggeriert, Unternehmen in anderen Rechtsformen seien weniger vertrauenswürdig und weniger sozial werthaltig. (Dieser Punkt erstaunt, denn dass genau das nicht suggeriert werden soll, hat die Stiftung Verantwortungseigentum längst klargestellt).
  • Spätestens in wirtschaftlichen Krisenzeiten drohten Finanzierungsdefizite. „Wer möchte sich mit Eigenkapital an einer Gesellschaft beteiligen, wenn keine Aussicht auf eine Beteiligung am Gewinn und am Wertzuwachs des Unternehmens besteht”, fragen die Verbände.
  • Der Gesetzentwurf sehe eine unmittelbare steuerliche Privilegierung vor, soweit Vermögensübergänge bei dieser Rechtsform von der üblichen Erbschaftsteuerlast entlastet werden sollen. Da die Besteuerung bei einem Anteilsübergang nur auf Basis der geleisteten Einlage erfolge, werde das in der GmbH-gebV entstehende Vermögen weiterhin dauerhaft der Schenkung- und Erbschaftsteuer entzogen.

BDI und Bundesverband Deutscher Stiftungen „halten ein gesetzliches oder privatrechtliches Zertifizierungsregime für eine Möglichkeit, dem Grundgedanken der GmbH-gebV gerecht zu werden”. Die gemeinnützige GmbH und Stiftungsmodelle erlaubten bereits steuerlich gemeinnützige, sonstige ideelle oder gemischte Zwecke von Gesellschaftern; sie würden, auch international, durch eine Stiftungs- oder Finanzaufsicht überwacht. Die GmbH und gebundenem Vermögen stelle bisher keine Handlungsoption über das hinaus zur Verfügung, was die Stiftung bereits könne.

3.5 Stellungnahme Wissenschaftlicher Beirat beim BMF

„Kritik am Verantwortungseigentum” titelte die F.A.Z. am 17. November 2022 und schrieb von einem „herben Dämpfer”, den die jahrelangen Bemühungen der Start-up-Szene für die Schaffung einer neuen Rechtsform erhalten hätten. Anlass war die Stellungnahme „Zum Vorschlag für eine GmbH mit gebundenem Vermögen” des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen. Dem Beirat gehören unter anderem die Ökonomen Lars P. Feld, Clemens Fuest, Johanna Hey, Jörg Rocholl, Marcel Thum und Volker Wieland an.

Der Beirat beschreibt die „fixierte Ausschüttungssperre” als „Typusmerkmal” der vorgeschlagenen GmbH mit gebundenem Vermögen. Die Unabänderlichkeit der Vermögensbindung sei das eigentliche Kennzeichen der neuen Rechtsform. Eine zwingende, von den Gesellschaftern später nie mehr änderbare Ausschüttungssperre sei aus wirtschaftspolitischer sowie rechtlicher Sicht allerdings nicht empfehlenswert. Die Vermögensbindung führe dazu, dass Anteilsinhaber nicht mehr individuell über den Zeitwert ihres Kapitalanteils verfügen dürften; sie sei zudem „gestaltungsanfällig und praktisch wohl nicht lückenlos umsetzbar”.

Der einzelne Anteilsinhaber könne zwar desinvestieren, erhalte dann aber nicht, wie grundsätzlich bei der normalen GmbH, den anteiligen Unternehmenswert als Abfindung, sondern nur den Nennbetrag der Einlage zurück. Über den Zeitwert des in der GmbH-gebV angesammelten Vermögens könne nur die Geschäftsführung und Gesellschaftermehrheit verfügen. Der Beirat bezweifelt das Argument der Befürworter des Modells, „diese Konstruktion befreie von Fehlanreizen zu einem ‚short-termism’ und biete Raum für eine längerfristige Orientierung der Unternehmensführung”: Zum einen seien nachhaltige, langfristig orientierte Unternehmensführung und finanzielle Interessen keine Gegensätze. Zum anderen werde sich das Management auch in einer GmbH-gebV wie bei einer normalen GmbH oder AG durch Erfolgsmeldungen profilieren wollen. Fehlsteuerungen jeglicher Art seien nicht ursächlich mit einer bestimmten Gesellschaftsform oder allein mit finanziellen Anreizen verknüpft.

Kritik übt der Beirat auch an der Governance der GmbH-gebV. In der normalen GmbH oder AG hätten die Vermögenseigentümer den größten Anreiz, auf die bestmögliche Verwendung der Mittel zu achten. Der Anreiz, diese Aufgabe mit viel eigenem Engagement – „intrinsisch motiviert” – auszuüben, sei bei der GmbH-gebV viel geringer. Was ihr fehle, sei die zweite Komponente der extrinsischen Motivation. Denn egal ob der Verantwortungseigentümer seinen Aufsichtspflichten gut oder schlecht nachkomme, er erhalte nie mehr als den Nennbetrag der Einlage zurück. Der Beirat befürchtet, „dass die Governance in GmbH-gebV im Mittel schlechter ausfällt als in normalen GmbH und AG. Das Vermögen würde weniger wachsen oder schneller verloren gehen als bei guter Governance.”

Ungelöste Governance-Probleme sieht der Beirat auch in der Vorstellung der Initiatoren der GmbH-gebV, eine „‚Wertefamilie’” im Gesellschafterkreis einer GmbH-gebV könne allein für eine ausreichend gute Unternehmensführung sorgen und diese dauerhaft gewährleisten. Es bestehe – besonders in nachfolgenden Generationen – die Gefahr „rationaler Apathie” von denjenigen Gesellschaftern, die die intrinsischen Motive der Gründer, die keine finanziellen Interessen an der Gesellschaft hatten, nicht im gleichen Maße teilten. Der Gesetzentwurf ignoriere das Problem, „dass die Herrschaft über das in der GmbH-gebV angesammelte Vermögen nicht unkontrolliert allein in den Händen der Geschäftsleitung liegen sollte”. Denkbar sei beispielsweise ein verpflichtender Aufsichtsrat (ein Punkt, mit dem sich der überarbeitete Gesetzentwurf bereits beschäftigt hatte, s. dort S. 79f.).

Skeptisch sieht der Beirat die Zielsetzung einer GmbH-gebV, „das Unternehmen gegenüber (nationalen und internationalen) Investoren auf dem Kapitalmarkt abzuschirmen”. Der Einstieg potentieller externer Investoren diene einer guten Governance. Außerdem widerspreche der Ansatz der GmbH-gebV Vorhaben des Gesetzgebers, wie etwa bei der Stärkung von Wachstumsinvestitionen durch Venture Capital oder der Sicherung der Altersversorgung, wo zu Recht mehr statt weniger Kapitalmarktorientierung eingefordert werde. Schließlich gebe es für eine Abschottung gegen „‚unerwünschte’” Übernahmen schon jetzt wirksame Instrumente wie statutarische Vinkulierungsklauseln.

Kritisch sieht der Beirat des Weiteren die Finanzierung in Krisen. Bei der GmbH-gebV bestünden keine Anreize, Eigenkapital zuzuführen. Dies erhöhe die Abhängigkeit von Fremdfinanzierungen. Probleme könnten sich für eine GmbH-gebV vor allem in einer wirtschaftlichen Schieflage ergeben. „Externe Kapitalgeber dürften für eine GmbH-gebV schwer zu finden sein”, heißt es in der Stellungnahme. Wer einer GmbH-gebV in Schieflage mit frischem Kapital beispringe, riskiere im ungünstigen Fall den Verlust des eigenen Vermögens, könne im günstigen Fall aber nicht von der Erholung des Unternehmens profitieren. Diese Asymmetrie könne die Sanierungschancen einer in eine Krise geratenen GmbH-gebV empfindlich verschlechtern.

Der Beirat empfiehlt dem Gesetzgeber, keine Rechtsform einzuführen, die künftige Generationen „freiheitsbegrenzend” binde. Die Festschreibung der Vermögensbindung zulasten aller nachfolgenden Generationen überhöhe die Gründerfreiheit zulasten der Freiheit späterer Generationen. Mit Blick auf die Generationengerechtigkeit leuchte es nicht ein, „warum heute Lebende berechtigt sein sollten, die Verfügungsrechte aller künftigen Gesellschafter zu beschränken”.

Darüber hinaus ist der Beirat nicht überzeugt, „dass die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu einer Vermögensbindung und Unternehmensperpetuierung noch über das nach Stiftungsrecht heute bereits geltende Maß hinaus erweitert werden sollten”. Das geltende Stiftungsrecht tauge nicht als Argument für die Schaffung einer GmbH mit gebundenem Vermögen, zumal es bereits eine unabänderliche Vermögensbindung erlaube. Die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten hierfür noch weiter auszudehnen, sei nicht erforderlich.

Auch in einem anderen Punkt würde die GmbH-gebV über das geltende Stiftungsrecht hinausgehen, indem sie das Verbot der Selbstzweckstiftung aushebelte. „Stiftungen müssen einen über den bloßen Erhalt (oder die Vermehrung) des Stiftungsvermögens hinausgehenden fremdnützigen Zweck verfolgen”, schreiben die Autoren. Der bloße Unternehmenserhalt oder die alleinige Sicherung eines Familienvermögens seien als Stiftungszweck unzulässig.

Schließlich lehnt der Beirat den Entwurf für eine GmbH-gebV wegen der inhärenten Steuerprobleme ab. Eine Rechtsform, die zulasten Dritter gehe, weil sie als Steuersparmodell missbraucht werden könne, hält der Beirat für keine gute Idee. Dabei geht es einerseits um die Körperschaftsteuer, andererseits um die Erbschaft- und Schenkungsteuer.

Die geltende Regelung zur Körperschaftsteuer sehe eine Besteuerung auf zwei Ebenen vor, zunächst die Körperschaftsteuer auf der Ebene der Körperschaft, der später die Besteuerung der Ausschüttungen folge. Für die GmbH-gebV passe dieses System nicht, weil es hier keine Ausschüttungen geben dürfe und deshalb konzeptionell nur eine Besteuerungsebene gegeben sei.

Entgegen der Meinung der Befürworter der GmbH-gebV, wonach bei der Schenkung oder Vererbung von Anteilen an einer GmbH-gebV diese – wegen der Vermögensbindung – nur zum Nennwert zu bewerten und sie damit von der Erbschaft- und Schenkungsteuer weitgehend freizustellen seien, wären die Anteile an der GmbH-gebV nach dem Verständnis des BMF-Beirats ohne Berücksichtigung der Vermögensbindung zu bewerten. Bei einer Bewertung der Anteile an einer GmbH-gebV zum Nennwert „müsste alternativ die Erbersatzsteuer auf GmbH-gebV ausgeweitet werden, um das in GmbH-gebV gebundene Vermögen nicht dauerhaft der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu entziehen”, heißt es in der Stellungnahme. Auch eine GmbH-gebV, die nie Ausschüttungen an die Anteilseigner vornehme, sei ökonomisch nicht generell zu einem Wert von Null zu bewerten. Denn die Eigner erzielten persönliche Vorteile durch die GmbH-gebV. „Die Bewertung der Anteile an der GmbH-gebV sollte dies abbilden. Daher sollte die Übertragung nicht der Erbschaft- und Schenkungsteuer entzogen werden.”

Der Beirat schlussfolgert: „Die vorgeschlagene Rechtsformvariante würde gewichtige Governanceprobleme auslösen und rechtspolitisch problematische generationsübergreifende Freiheitsbeschränkungen bewirken. Zudem drohten Lücken bei der Besteuerung.”

Ein Mitglied des BMF-Beirats – es handelt sich um Lars Feld – teilt dessen Meinung nicht. Seine Sicht der Dinge hat Feld im Anschluss an die Ausführungen des Beirats dargelegt. Mehr dazu in Teil 3 (Punkt 4.5), der sich damit beschäftigt, was die Befürworter des Verantwortungseigentums respektive einer GmbH und gebundendem Vermögen ihren Kritikern antworten.

3.6 Denkpapier des Instituts für Mittelstandsforschung (Ergänzung April 2023)

Am 17. April 2023 hat das Institut für Mittelstandsforschung (IfM), Bonn, das „Denkpapier Gesellschaft mit gebundenen Vermögen – eine kritische Betrachtung aus ökonomischer Sicht” veröffentlicht. Nach Ansicht von Rosemarie Kay, stellvertretende Geschäftsführerin des IfM, führt eine Einführung der Rechtsform Gesellschaft mit gebundenem Vermögen nicht zu langlebigeren Unternehmen, wie es von den Initiatoren der Rechtsform behauptet werde. „Im Gegenteil: Durch die Rechtsform würde die Nachfolgesuche schwieriger, da Kaufinteressierte aufgrund der langfristigen Bindung der Gewinne im Unternehmen auf eine Gewinnbeteiligung und Wertsteigerung ihrer Einlage verzichten müssten“, so Kay.

Zudem werde die Nachfolgesuche auch dadurch erschwert, dass potentielle Interessenten die Einschränkung ihrer unternehmerischen Handlungsfreiheit akzeptieren müssten. Auch kämen nur solche Personen als Käuferinnen oder Käufer in Frage, die die Werte der „Wertefamilie“ teilten. Im Falle von juristischen Personen wären dies in erster Linie Gesellschaften, die selbst auch in dieser Rechtsform firmierten.

Der Asset Lock – also die langfristige Bindung der Gewinne und des Vermögens – könne zudem dazu führen, dass Investitionen getätigt würden, die riskanter oder weniger notwendig seien. Damit steig die Gefahr von Fehlinvestitionen, so Kay weiter. Insgesamt sehe sie aus volkswirtschaftlicher Perspektive das Verbot der Gewinnausschüttung oder der beschränkten Beteiligungsmöglichkeiten an anderen Unternehmen als problematisch an, da dies dem Grundsatz der optimalen Allokation von Kapital widerspreche.

In Teil 1 der Artikelserie haben wir beschrieben, was Verantwortungseigentum ist, wer die Befürworter sind und mit welchen Argumenten sie für eine neue Rechtsform eintreten. Teil 3 beschreibt, was die Befürworter ihren Kritikern antworten.

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